Ich glaube, meine erste handlung als volljährige war, einen telefonanschluss auf meinen namen in meiner wohnung anzumelden. Meine zweite handlung war, einen termin zu vereinbaren beim chefredakteur der lokalredaktion der tageszeitung einer kleinstadt im osten. Seitdem schrieb ich über konzerte, ausstellungseröffnungen und charitéabende. Nun ja, ich war nicht besonders gut im schreiben, brauchte ewig lang für einen text, dennoch schien ich ganz nützlich zu sein. ich war wohl die einzige, die freiwillig und auch noch gern zu diesen abenden ging und liebend gern mit den bands resp. veranstaltern sprach. Zwei, drei jahre vergingen und ich kannte jeden verdammten ort dieser stadt. Also wechselte ich in eine andere kleinstadt im osten. Mittlerweile schrieb ich für ein stadtmagazin und war auch schonmal die titelgeschichts-schreiberin. Und hielt mich wahrscheinlich für eine tolle journalistin. Vorwitzig, zynisch, ach eben einfach clever.
Eines abens beehrte sich benjamin von stuckrad-barre in meine stadt. Es war so etwas wie ein ereignis; eine lesung im städtischen kino. Ich war mit dem besitzer auf du-und-du (na gut, jeder war mit dem besitzer auf du-und-du) und fragte an, ob denn ein interview vor der lesung in ordnung ginge. Er sagte: klar. Gut, dachte ich und war eine stunde vor lesungsbeginn im kino. Es war ein herrlicher tag, ob herbst oder frühlung, das weiss ich jetzt nicht mehr, aber die sonne stand tief. sie wärmte und tauchte die seite des hauses neben dem kino in pures gold. Wein umprangte das kleine cafe indem herr von stuckrad-barre unübersehbar im freien saß, mit stroh-cowboyhut und fisch mit seinem agenten aß. Wie immer bei solchen gelegenheiten vergass ich jede skrupel und näherte mich behutsam aber beflissentlich dem herren popliterat. Ob ein interview für das städtische lokalmagazin genehm sei? „Klar, ja, setz dich doch“ vernahm ich und schon bestellte ich beim herbeieilendem kellner ein wasser. Mein diktiergerät neben den teller des herren stellend, wollte ich schon mit meinen fragen beginnen, als herr stuckrad-barre mich fragte, ob ich denn angemeldet sei. Sowas gibt’s hier nicht, sagte ich lächelnd und dachte: mannomann, der stellt sich aber an. Wir sind hier in ner kleistadt, da braucht man nicht zu fragen. Der popliterat tat etwas pikiert. Sein agent, jenes graue männchen neben ihm, würde schon gern wissen, wer wann mit ihm sprechen will. Also sagte ich lieb: ich heisse esker und komme vom stadtmagzin xxx und würde gern jetzt mit benjamin von stuckrad-barre sprechen. Hmm. Das funktionierte wohl. Er liess mich gewähren.
Benjamin- wir duzten uns, na klar- ist in echt zeimlich groß. Sein gesicht ist riesig, kantig und mit denker-furchen durchzogen. Er sitzt- wie im fernsehen- immer irgendwie schräg im stuhl, etwas knochig und steif. Benjamin trug einen hellen anzug, sehr gut sitzend, ja sogar recht knackig. Auf seiner hose war ein essensfleck, der ihm aber gar nicht störte, so schien es. Fand ich cool. Ob er denn lesereisen gern mache? Ja. Hat er sich schon die stadt ein wenig angeschaut? Ja, bei den einkaufszentren könne man ihm eine aufn kopp hauen und ihm sagen, er sei in erlangen und er würde es glauben, sieht ja alles gleich aus. Würde er eine kolumne für die bildzeitung schreiben? Ja, sehr gern sogar. Großartiges blatt, gut gemacht. Da könne er ja glatt cdu-wähler werden, höhö.
Ich hielt mich ja für eine eloquente, kluge journalistin, die sich in sämtlichen dingen gut auskannte. Ich wußte, ich mußte das gespräch auf etwas lenken, worin er und ich mir einig wären, sozusagen eine art seelenverwandtschaft herauskitzeln, damit dieser junge mann mal abseits von seinen schon dutzendfach vorher gepredigten antworten abweicht. Routine dachte wohl er, chance dachte ich. Wie wärs mit einer person, die er vergöttert? Ich kenn mich doch als tolle journalistin aus und könnte vorgeben, die gleiche person zu vergöttern. Ich setzte alles auf eine karte und dann sagte er: max frisch. Ich lese gern und viel, aber ausgerechent herrn frisch kannte ich nur vom hörensagen. Ich antwortete: ah, max frisch, interessant, äh!, konnte aber nicht EIN buch von ihm nennen. Ja, mir fiel nicht einmal ein buchtitel von ihm ein. Chance verpasst, dachte ich, doofe kuh, dachte wohl er. Eine frau, die nicht einmal bücher von max frisch liest, findet bsb wohl blöd. Das interview war dann auch langsam vorbei. Gedruckt wurde es nicht. ich habe dann alle bücher von max frisch gelesen. Ich habe irgendwann aufgehört zu schreiben. Ich bin in eine großstadt im osten gezogen. Und hier muss man immer fragen.
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