Und hier ist sie nun: Die Mutter aller Paparazzi-Geschichten, die fulminanteste Erzählung, seit es Prominente gibt. Aus dramaturgischen Gründen taucht der Name des Prominenten erst am Schluss auf. Aber ich verspreche euch allen: Es ist wirklich ein sehr Prominenter. Und die Geschichte ist wahr. Ich muss ein wenig ausholen. Im Sommer 1990 heiratete meine Schwester einen Neuseeländer namens David Stewart. Einige Jahr später zogen die beiden nach London. David ist irgendein Werbefuzzi und verdient recht gut. Sie wohnen im Stadtteil Camden, aber nicht dort, wo die Freaks wohnen, sondern in einer sehr, sehr vornehmen und ultrateuren Strasse. Dies vorneweg. Ebenfalls schon jetzt muss ich erwähnen, dass es auf diesem Erdenrund wohl keinen Menschen gibt, der sich weniger in der Popmusik auskennt als meine Schwester. Sie kennt wirklich nichts und niemanden. Vielleicht gerade noch die Beatles. Und so jemand wohnt in London! Also. Die Geschichte, die ich Euch jetzt erzähle, spielt an einem Augusttag Mitte der 90er. Ich war mit meiner Freundin im Urlaub in England. Zum Abschluss besuchten wir meine Schwester und ihren Mann Dave. Eines Nachmittags sitzen wir gemeinsam in der grossen Wohnkueche und trinken Tee. Dave war bei der Arbeit. Wir waren also zu dritt. Ploetzlich klingelt es an der Tür. Meine Schwester ist sehr unvorsichtig. Sie öffnet immer sofort die Tür, wenn es klingelt. Die Besucher stehen dann plötzlich in der Wohnung. So auch an diesem Tag. Wir hören, wie jemand die Haustür hinter sich schliesst und schon steht ein Mann in der Küche. Er sah ziemlich verwahrlost aus. Er trug einen braunen Mantel, der aussah, als habe er ihn im Altkleidercontainer gefunden. Seine Frisur wirkte wie ein Wischmopp. Er war unrasiert. Er trug eine schwarze Hose und hatte sehr dünne Beine. Die Schuhe passten irgendwie nicht, denn sie sahen recht teuer aus. Er fragte freundlich, ob er hier richtig sei bei ³Dave Stewartã. Ja, sagte meine Schwester. Aber der komme erst in etwa einer Stunde. Ob er warten könne, fragte der Herr. Er sei verabredet. Klar, sagte meine Schwester, und fragte ihn, ob er einen Tee wolle. Gerne, sagte der Mann. Er sprach mit amerikanischem Akzent. Diese Stimme...Irgendwie kam sie mir bekannt vor. Er nölte ein wenig. Er sass ruhig am Tisch. Meine Schwester brachte Tee. Was er denn von Dave wolle, fragte sie. Oh, sagte der Fremde, es gehe um ein gemeinsames Projekt. Aha, sagte meine gutgläubige Schwester, die sich weder für Popmusik noch für die Geschäfte ihres Mannes interessiert. Meine Freundin und ich sassen herum und wussten nicht, was wir mit diesem komischen Mann reden sollten. Aber diese Stimme...Leider sprach er kaum. Er trank Tee und wartete auf Dave. Wir warteten alle. Es war recht zäh. Man sprach mal übers Wetter oder über den Stau in London. Der Fremde. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Diese Stimme....Ich hatte plötzlich einen furchtbaren Verdacht. Dieser Verdacht war so furchtbar, dass ich vor Angst zitterte. Ich wollte meiner Freundin etwas sagen, aber es ging nicht. Denn der Fremde hätte ja alles mitgehört. Ich fragte den Fremden, ob er noch Tee wolle. Oder vielleicht Kekse. Gerne, sagte er. Er nölte. Diese Stimme....Mein Verdacht...Ich glaubte, ohnmächtig zu werden. Ich erlitt Schweissausbrüche. Ich merkte, wie meine Hände kalt und klatschnass wurden. Er war es. Ich war mir jetzt völlig sicher. Er musste es einfach sein!! Aber was tat er hier? Bei meiner Schwester in der Küche??? Es war so unwirklich. Es war ein Traum. War es ein Traum??? Nein, es war Realität. Er sass bei uns in der Küche. Der berühmteste Mensch der Welt. Er war es, ich war mir jetzt vollkommen sicher. Ich saß seit 30 Minuten neben Bob Dylan. Mir liefen Schauer über den gesamten Körper. Meine Schwester hatte keine Ahnung, wer in ihrer Küche saß. Und meine Freundin schien ihn auch nicht erkannt zu haben. Ich ja auch nicht!! Wieso denn auch?? Ich wollte etwas sagen, aber ich brachte keinen Ton heraus. Sollte ich nun zugeben, dass ich ihn erkannt hatte? Was wollte er von meinem Schwager? Das musste ein Missverständnis sein, aber wieso sollte ich es auflösen?? Tausende von Menschen wären glücklich, einmal in ihrem Leben neben Bob Dylan zu sitzen. Ich tat es. Und konnte mit ihm nicht über seine Musik reden. Ich traute mich nicht. Wir tranken Tee und plauderten über völlig unwichtige Dinge. Über die Spice Girls!! Denn im Radio lief ein Lied von ihnen und der Fremde tippte mit dem Fuss mit. Ich fragte ihn, ob ihm die Musik gefalle. ³Sicherã, sagte er und lächelte. Das Lächeln! Der letzte Zweifel war verschwunden. Der grösste Rockstar aller Zeiten sass neben mir in der Wohnküche meiner Schwester. Plötzlich gab es Türgeräusche. Dave kam heim. So, jetzt wurde es spannend. Dave kommt hinein und wird aschfahl. Er schaut uns an, schaut auf den Fremden, schaut auf seine Schwester und sagt: ³Hi, Iâm Dave.ã Und dann sagt er zu dem Fremden: ³Wenn ich nicht sicher wäre, dass es nicht sein kann, würde ich denken, Sie wären Bob Dylan.ã Bob steht auf, schaut etwas verwirrt, nuschelt dann: ³Ich bin Bob Dylan.ã Dave setzt sich hin, schluckt. Bob Dylan sagt: ³Sind Sie Dave Stewart?ã Dave sagt: Ja. Dann sagt Dylan: Oh, Verzeihung, dann bin ich wohl beim falschen Dave Stewart. Und dann löste sich alles auf. Bob Dylan hatte eine Verabredung mit Dave Stewart, dem Eurythmics-Mann. Dieser wohnte, wie wir dann von Bob Dylan erfuhren, auch in dieser Strasse. Aber leider vier Blocks weiter. Und Herr Dylan war - man stelle sich das vor - allein durch diese Strasse gelaufen, hatte die Hausnummer nicht gewusst (oder verwechselt), sah den Namen Dave Stewart an der Haustür, klingelte und sass bei uns in der Wohnküche. Er hatte es dann ziemlich eilig, denn er war ja schon eine Stunde zu spät. Er bedankte sich für alles und ich hatte nicht den Mut, ihn um ein Autogramm zu bitten. Ich habe keinerlei vorzeigbare Erinnerung an diesen unglaublichen Tag. Ein paar Wochen später las ich in einer Zeitung, Bob Dylan und Dave Stewart hätten irgendein gemeinsames Projekt. Und es gab dann wohl auch einen Videofilm, den Dave Stewart (der Echte!) drehte. Er filmte Bob Dylan in Camden, wie er so durch die Straßen ging. Im Mantel. Im Hochsommer. Übrigens: Meine Schwester nahm das alles sehr cool. Bob Dylan? Kannte sie nicht. Blowing in the wind? Ja, das hatte sie schon gehört. Aber beeindrucken konnte sie das ganze nicht wirklich. Mich schon. Und damit ist diese Geschichte zu Ende.
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