Es war Ende August 1990, ich war im U4, als es sich noch auszahlte ins U4 zu gehen, mit meiner Ex-Freundin-und-sodann-Nur-Freundin Susi, mittlerweile aka Andrea Egger von TIV, um dort den Auftritt der von mir nicht allzu
geliebten, aber später umso erfolgreicheren Ami-Band Soul Asylum zu besuchen. Im Publikum befand sich auch der gerne als deutscher Musikkritikerpapst oder so bezeichnete Diedrich Diederichsen mit seinem hiesigen Spezi Martin Prinzhorn, Linguist
und Kunstfreund aus der Prinzhorn-Dynastie. Susi kannte die beiden und so kam sie mit ihnen ins Gespräch, na gut. Welch
folgenschweren Auswirkungen für das anstehende Wochenende dies haben sollte, konnte ich beileibe noch nicht ahnen.
Jedenfalls erwähnte Susi offenbar, dass ich mit dem Auto hier sei(mein kleiner rostiger Japaner, der in einer anderen Geschichte noch eine Rolle spielen wird), worauf Diederichsen Prinzhorn zu mir schickte, der mir umständlich ein verworrenes Anliegen servierte: Er, Prinzhorn, oder zumindest die Dynastie, wäre im Besitz so einer Art, äh, Schlossruine, äh, bei Thomasberg, ja, das ist, äh, in der Buckligen Welt, und da steigt, tja, alljährlich um
diese Jahreszeit eine traditionelle Festivität, also genauer gesagt morgen abend, da kommt diverse Prominenz aus der Kunst- und
Musikwelt und so, und ja, es wäre doch ganz toll, könnten wir doch gleich jetzt in der Nacht - und du hast doch ein Auto, haha -
also gleich mal rausfahren, ähm ja, hätt fast vergessen, du und Susi seid natürlich auch eingeladen, gefällt euch doch sicher, ja
und pennen könnt ihr natürlich auch bei uns, null Problem. Die Tatsache, dass ich zu dieser Stunde, wenn überhaupt, dann nur ganz zart illuminiert war, die komischen Soul Asylum mir am Arsch vorbeigingen und ich überhaupt noch gut zehn Jahre übermütiger als heute war, rissen mich zu einem spontanen
Entschluss hin, der da lautete: Foahrma, owa glei! Prinzhorn, Diederichsen und Susi also umgehend ins Auto gepackt und Abfahrt Richtung A2, Exit Grimmenstein, Richtung Aspang und bei Thomasberg einen schmalen, kurvigen Forstweg rauf zum Prinzhornschen Anwesen. Irgendwie noch was gesoffen und ein
bisschen vergessenswerter Smalltalk und ab ins Bett. Nächster Tag erwachen - wo bin ich? - oh, Diederichsen kocht Kaffee, gut, schaun, wie das heute weitergeht. Irgendwann gegen Mittag trudelt als erster der Gäste Rainald Götz ein, quasselt in einer Tour wie ein Wasserfall, reißt dami Diederichsen aus seinem spätsommerlichen Ennui. Vorschlag Diederichsen: Gemeinsamer Waldspaziergang? Willste auch mitgehen, Chris? Na klar will ich. Die Ausdauer der Herrn Intellektuellen hatte ich aber eindeutig unterschätzt, nicht nur dass die beiden weiterhin unaufhörlich über Gott und die Welt palaverten und ich schon deshalb kaum zu Wort kam, weil mir die Zunge heraushing ob des forschen Tempos, das die beiden ungeachtet ihrer im stalingradorgelartigen Stakatto dahingeratterten Konversation hinlegten. Nach zwei Stunden Berg- und Tal-Gewaltmarsch hatten wir endlich unser Ziel erreicht, ein angeblich weit und breit bekanntes Dorfwirtshaus, irgendwo an einer Landstraße mitten in der Einöde, aber schön. Bekamen vom Wirtn dann auch bald das unglaubliche Gästebuch präsentiert, wo so ziemlich jeder
Saftsack sich verewigt hatte, der irgendwann einmal in einem News-Ranking der Top-1000-Ösi-Promis aufscheinen sollte. First
things aber first: Bestellung Diederichsen: Unbedingt Most, weil Most um diese Jahreszeit das beste ist und der Most hier der vorzüglichste überhaupt sei. Keine Widerrede erlaubt, alle müssen Most trinken (es ist ca. 14 Uhr). Most ist okay, aber dieser hier war ein Wahnsinn, kroch nach ein paar Schluck in die Birne, dass es dröhnte wie die Trompeten vor Jericho. Natürlich mehr Most. Und noch mehr Most. Bis ich in meinem Taumel das auf die (üble) Byrne/Eno-Platte 'My Life In The Bush Of Ghosts' anspielende Bonmot 'dies hier ist my life in the bush of mosts' quer über den Tisch lallte, woraufhin Diederichsen glücklich gackerte. Viel mehr an Erinnerung ist nicht übriggeblieben, aber der ebenfalls in scharfem Schritt erledigte Rückmarsch trug wundersamerweise zu einer beinahe vollständigen Ausnüchterung bei. Mittlerweile hatte ich natürlich kapiert, dass die Wanderung zum Wirtn ein alljährlich frohgemut praktiziertes Ritual der Diederichsens und Prinzhorns war, aber ich hatte noch nicht erfahren, dass die Krönung des Rituals darin bestand, den letzten Kilometer zum Schloß Prinzhorn in gestrecktem Galopp zurückzulegen (steil abschüssig, über Stock und Stein). Diederichsen erteilte das Startkommando und schoß ab wie ein geölter Blitz. Diederichsen, aufgedunsen und mit einer stattlichen Bierwampe gesegnet, siegte mit überlegenem Vorsprung, während ich, der ich mich immer für einen halbwegs sportiven Typen gehalten hatte, mich mit letzter Kraft noch vor Prinzhorn (ein Berg von einem Mann) in die Schloßeinfahrt retten konnte. Die inzwischen Eingetroffenen, so Leute wie Albert Oehlen, Kathi Weingartner, Peter Pakesch, die üblichen Verdächtigen halt, begrüßten uns mit gebührendem Respekt. Der Restnachmittag verstrich mit Musikfachsimpeleien und dergleichen, während im Burghof schon ordentlich für das abendliche Gelage aufgetischt wurde. Es sollte schließlich zugehen wie beim gallischen Wildschweinfraß und Cervisiazecherei, nur von diskursiven Redeschwällen unterlegt. Weiß nur noch, dass ich Kathi W. beleidigte, indem ich kundtat, dass ich das George-Clinton-Konzert scheiße fand. Immerhin schlug sich Oehlen, wenn auch halbherzig, auf meine Seite. Irgendeinen Otto-Muehl-Jünger lernte ich auch kennen, aber irgendwann war ich so butterweich, dass ich Prinzhorn um ein Schlafgemach anbettelte. 'Oh mein Gott', stammelte Prinzhorn darauf, 'da muss mir jetzt eine geniale Idee einfallen'. Auf seine geniale Eingebung warte ich bis heute vergeblich und so verkroch ich mich auf die Rückbank meines Autos, wo ich aber alsbald von Susi vertrieben wurde, der ebenfalls keine Schlafstatt zur Verfügung gestellt worden war. Legte mich also mitten auf den Burghof ins Gras und erwachte nach viel zu kurzem oder Fast-gar-nicht-Schlaf von nächtlicher Kälte gebeutelt mit einem Möderhangover und schlich mich in die Küche, wo abgestandener kalter Kaffee herumstand, den ich umgehend angewidert wegschüttete und neuen aufstellte. Keine Menschenseele weit und breit zu hören und zu sehen, nur Diederichsen, offensichtlich durch mein Rumoren erwacht, stand jählings im Nachtgewand vor mir: 'Wo ist der Kaffee von gestern?' - 'Weggeschüttet
natürlich!' Diederichsen schenkte mir einen langen, strafenden Blick, sank auf eine Sitzbank, seuzte tief durch und sprach alsdann: 'Das sieht der Schöpfer gar nicht gerne.'
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(Beitrag wurde von Chris Duller am 28.03.2001 um 18:10 Uhr bearbeitet.)
(Beitrag wurde von Chris Duller am 28.03.2001 um 18:11 Uhr bearbeitet.)
(Beitrag wurde von Chris Duller am 28.03.2001 um 18:12 Uhr bearbeitet.)
(Beitrag wurde von Chris Duller am 28.03.2001 um 18:13 Uhr bearbeitet.)
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