Dieter Wedel hat Krümel auf seinem schwarzen Jackett. Auf den Schultern, am Revers. Während er von den Rolling Stones faselt, vom Bürgerschreck Mick, seiner Jugend und ähnlichem, rätsele ich, ob es Schuppen sein könnten. Manche der Krümel sind zu groß für Schuppen. Aber die übermenschliche Frisur dieses öffentlich-rechtlichen Abendprogramm-Meisters könnte die einzig mögliche Biosphäre für Schuppen-Mutationen sein.
Ich wäre gerne einmal dabei, wenn Dieter Wedel sein blass rotblondes Haar onduliert. Wie er die wenigen Naturlocken nach oben föhnt. Wie sich diese darauf hin zart über die kahlen Stellen der Schädeldecke legen, gleichsam aber weiße Kopfhaut über, vor und hinter den Ohren entblößen.
Uschi Wolters, die ältere der beiden Frauen Wedels - die Kopfdame, nicht die Herzdame - Uschi Wolters also, steht neben dem Regisseur und sagt nichts. Schaut dabei wie ein gequältes Wesen, so als habe sie alles, was Dieter da brabbelt schon so oft, vielleicht zu oft gehört. Große traurige Augen hinter einer großen traurigen Brille, gerahmt von einer Frisur, die sie durch schulterlange Einfaltigkeit mindestens fünf Jahre älter macht.
Sie tut mir leid und ich lächle ihr aufmunternd zu. Sie erschreckt sich. Und zieht ganz langsam die Mundwinkel zu einem nicht ernst gemeinten Lächeln nach oben, aber nur, um sie gleich wieder sinken zu lassen.
Das Angebot auf dem Buffet in der „Rolling-Stones-T-Mobile-VIP Lounge“ des Volkspark-Stadions (scheiß auf AOL) lenkt mich ab von den Wedels. Es scheint sehr lecker. Ich habe ein wenig Pute in einer Kokos-Angelegenheit, sehr schmackhafte Rinderstreifen in einer kräftigen Morchelrahmsoße, steche mit der Gabel darin herum und mache meine Backen dick.
Neben mir auf der gemütlichen Sofa-Landschaft ein gut gebauter Kerl, Tattoos all over, schwere Silberketten um Hals und Arme, vertieft im Gespräch mit Vicky Leandros, die ich erst spät an ihren Schlupflidern erkenne. Freifrau von Ruffin macht heute wieder auf Freigirlie von Ruffin, sagt allen, sie sei 50 Jahre und fischt nach Komplimenten.
Den Teller geleert, zünde ich mir eine Zigarette an. Ich inhaliere tief und meine nur auf gelegentliches Rauchen eingestellte Lunge befördert das Nikotin direttemente in die Blutlaufbahn. Ich bin bekifft, voll auf Marlboro, entspannt. Vielleicht der einzige Mensch in dieser Lounge, der das von sich sagen kann – abgesehen von den Koksern.
Ein Jedermann, ein Irgendwer, zu sein, ist von unschätzbarem Wert, denke ich. Das Streben nach Prominenz ist nicht gut für die Menschen. Norwegische Wissenschaftler sagen, dass Menschen, die das normale Leben genießen können und noch dazu ein wenig faul, zumindest aber unambitioniert sind, diese Menschen also, so die weisen Nordmänner, leben am längsten.
So fällt mein Blick auf Heydi Nunez-Gomez, ein Name, als ob man einen geblasen bekommt. Ein wirklich schönes Mädchen. Ich weiß nicht, was sie hier macht. Was sie überhaupt so macht. Mit Boris Becker soll sie mal was gemacht haben. Da sie kein mondgesichtiges, rotblondes Monster mit basedowschen Glubschaugen an der Hand hält, kann es so sehr viel nicht gewesen sein.
Heydi hat nur sich und ihren Körper. Das ist mehr, als viele von sich sagen können. Heydi sucht hier den großen Auftritt, das Aufsehenerregen, die Vermarktungsmöglichkeit, eine Bühne für ihre begründete Eitelkeit. Alles was sie bekommt, ist ein Stehtisch.
Verloren steht sie daran mit zwei untersetzten, schwitzenden Stil-Unfällen, der eine in Streetwear mit zuviel Netz-T-Shirt und Trend-Sneakern, der andere in Autoverkäufer-Konfektion mit bunter Krawatte und so einer abscheulichen Casal-Brille. Die Herren essen Bretzeln. Das ist unglam. Heydi, eine Baskenmütze über dem polangen dunklen Haaren, in einem weißen Unterhemdchen, einer schwarz-weiß gestreiften Hose und weißen, spitzen Stiefelchen, wirkt verschwendet. Ich kann mir plötzlich ganz gut vorstellen, dass auch Heydi Nunez-Gomez mal einen Furz lässt, was ich sonst für abwegig gehalten hätte.
(tbc)
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