Der Tag, als meine Cousine vom Lande in Berlin eintraf, war auch der Tag der Massen-Prominenten-Begegnungen. Es war in einem Sommer Mitte der 90er.
Meine Begeisterung darüber, der frisch verklagten Bärbel Bohley angesichtig worden zu sein, konnte ich mit meiner Cousine nicht teilen. Bohley und Gysi sagten ihr nichts. Ein gutbürgerliches, wohlhabendes Mädchen vom fernen Schwabenland eben. Politik ist da 'IIIH', wenn Gedrucktes, dann Frauenzeitung. Manche Schauspieler aus dem Fach 'Ach, war das nicht der, na, du weisst schon..' zogen ebenfalls ihre Runden auf dem Winterfeldtplatz. Kurzfristig wog ich mich in dem Gefühl, ihr etwas geboten zu haben.
Sie wollte unterhalten werden und ich liess mich in die Zange nehmen. Der Theaterbesuch missfiel ihr, das Gespräch mit meinen Freunden und mir auch. Sie lächelte lieb und freundlich und hielt sich zurück.
In der Nacht gingen wir an der Oranienburger Strasse, zu einem Imbiss, der inzwischen von einer Touristenfallenkneipe verdrängt wurde. Auf dem Weg dorthin schlenderten wir an den Damen aus dem horizontalen Gewerbe vorbei. Leibhaftige Barbiepuppen! Wieder stellte sich bei mir das Gefühl ein, meiner Cousine etwas geboten zu haben.
Es war halb zwei. Wir bestellten an dem Imbiss-Wagen unsere Speisen und warteten. Ich hatte dabei den Eindruck kurzfristig auf Zwergengrösse geschrumpft zu sein: Um mich herum standen sehr grosse, sehr gutaussehende, enorm schick gekleidete Menschen. Es war nicht völlig abwegig zunächst zu denken, die Prostituierten sehen aus der Nähe besser aus, als man meinen könnte. Bei näherem Hinsehen verwarf ich diesen Gedanken dann wieder. Ihre Erscheinungsbilder waren einheitlich - insofern gab es eine Parallele zu den Huren von der anderen Straßenseite. Zudem trugen sie sehr hohe Absätze - eine weitere Parallele. Aber die mich umzingelnden sechs oder sieben Menschen waren durch und durch edel gekleidet, ihre Gesichter waren von einer seltenen Ebenmässigkeit. Sie waren zu schön um sie dem horizontalen Gewerbe zuzuordnen.
Nach einigen Minuten bekamen wir unser Essen, zogen ab. Kaum fünf Meter entfernt, sagte meine Cousine zu mir im Brustton grösster Wichtigkeit und Aufgereigtheit: 'Ich werd' verrückt! Da war Vivienne Westwood!' Ich drehte mich um und sah unter den Zweimetermenschen eine kleine, feine, Dame, die ein Kleid mit einem riesigen Ausschnitt mit aufstrebenden Brüsten trug, ein Pappschälchen Currywurst in der einen, einen Plastikpieker in der anderen Hand. Sie lächelte mich an, von Schälchen zu Schälchen.
(Beitrag wurde von Die Wucht am 25.10.2001 um 22:12 Uhr bearbeitet.)
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