Angeblich ist Manfred Krug längst nicht so nett, wie er tut, und die nachfolgende, kleine Geschichte wird auch davon erzählen. Es soll aber nicht nur eine Manfred-Krug-Geschichte werden, sondern auch die Geschichte einer Schuld, die sich aus der verpaßten Gelegenheit ergibt, einmal jemanden zu sagen: „Was bildest du dir eigentlich ein, du blödes Arsch?“ Vor allem aber ist diese Geschichte der eigentlichen Hauptperson gewidmet, einem höflichen Paparazzi, von der alten Schule.
Wir standen am Hamburger Flughafen, es war ein stürmischer, verregneter Spätnachmittag und am Schalter hatte sich eine lange Schlange gebildet. Da stellte sich Manfred Krug direkt hinter uns. Verärgert blickte er um sich, ob er nicht sofort und jetzt nach vorne zum Schalter gerufen würde, und als es wegen der üblichen Komplikationen des Handgepäcks wieder einmal länger dauerte, schnaubte er wütend und murmelte böse etwas Unverständliches. In diesem Moment trat ein älterer Mann auf ihn zu. Er öffnete ein Album, hielt einen Stift bereit und fragte leise: „Entschuldigen Sie, Herr Krug, könnten Sie mir bitte ein Autogramm geben?“
Es ist notwendig, an dieser Stelle die Geschehnisse einen Moment lang einzufrieren und sich diesen alten Mann etwas genauer anzuschauen. Ihr kennt vielleicht diese plötzlichen Situationen mit unbekannten Menschen, in denen blitzartig alles auf einmal offensichtlich ist und das ganze Leben, die ganze Geschichte dieser Menschen wie ein offenes Buch vor euch liegt. Der alte Mann war recht klein, hager, er trug einen hellen Anzug, darüber einen blauen Mantel, insgesamt Kleidung jener Art, die man früher einmal als einfach aber sauber bezeichnet hat. Als er auf Manfred Krug zutrat, hatte er sogar kurz seinen ebenfalls blauen Hut gezogen, sich etwas gebückt und dann das bereitgehaltene Album aufgeklappt. Er gehörte zu jenen Menschen, die vielleicht noch Gnädige Frau sagen und leise und unbemerkt durch das Leben gehen, die auf eineinhalb Zimmer leben und sich unglaublich freuen, wenn sie eine Flasche Wein zu Weihnachten geschenkt bekommen. Es war völlig klar, daß er seine Nachmittage hier auf dem Flughafen verbrachte, in seiner Hoffnung, von Prominenten ein Autogramm zu bekommen.
Manfred Krug drehte sich noch nicht einmal um.
„Was quatschen Sie mich hier von der Seite so blöd an?“ nörgelte er.
„Wer sagt denn, daß ich Manfred Krug bin?“ setzte er nach, noch etwas lauter.
Der alte Mann erstarrte, hielt noch immer das Album unterschreibbereit.
„Es ist eine Unverschämtheit, mich hier zu belästigen.“
„Verschwinde, sonst laß ich die Aufsicht kommen!“
Das wäre die Sekunde für eine kurze Unterhaltung mit Herrn Krug gewesen. Für eine kurze, unfreundliche Unterhaltung. Das sind diese blitzartigen Gelegenheiten, über die man sich im nachhinein sehr ärgert, und sich dann nachher sagt: nichts auf dieser Welt wäre dadurch besser geworden, aber es war richtig so. Ich habe nichts gesagt. Auch die anderen nicht. Und dann war es schon vorbei. Der alte Mann wich erschrocken zurück und ging rasch beiseite, das Album noch immer aufgeklappt in den Händen.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, diesen unbekannten alten Mann in dem blauen Mantel für einen Ehren-Paparazzi (Paparazzo?) vorzuschlagen. Und ich wünsche ihm die tollsten Autogramme. Nicht vom doofen Krug, sondern von Madonna, dem Papst, Elvis. Alles Gute.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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