Lange Worte möchte ich nicht machen, denn die folgende Begebenheit ist eine jener schlichten Geschichten, welche der Autor durch jeden unnötigen und von falschem Ehrgeiz getriebenen Meißelhieb nur ihrer natürlichen Schönheit berauben kann – während sie, rein und für sich selbst stehend, jedem Menschen Geist und Seele zu rühren in der Lage sind. Außerdem ist die Geschichte Boulevard im besten Sinn.
Am dritten Tage unseres frühsommerlichen Urlaubs in Berlin hatte ich meiner Freundin mittags einen nicht ganz überraschenden Heiratsantrag auf dem Deutschen Dom gemacht. Glücklich verbrachten wir den restlichen Tag mit den üblichen touristischen Beschäftigungen, bis wir spät abends Arm in Arm vom Brandenburger Tor aus unter den Linden langgingen. Auf Höhe des Hotel Adlon, mit meiner künftigen Gattin in eine typische Sommerabendunterhaltung verwickelt, bemerkte ich drei Personen – zwei Damen mit einem Herrn in ihrer Mitte - die eng beieinander auf den Hoteleingang zugingen und die wir bei unveränderter Gehrichtung und gleichbleibender Geschwindigkeit unweigerlich gerammt hätten, sowie eine parkende Limousine zur Linken am Straßenrand. Instinktiv und weil die Gehweise der Wegkreuzer nahe legte, dass sie nur äußerst ungern oder überhaupt nicht ausweichen oder ihrerseits das Tempo drosseln würden, bremste ich mich und meine Freundin abrupt. Und da wurden wir gewahr, dass der Herr in der Mitte niemand anders als Thomas Anders war, der um jede der beiden blonden Frauen (die ihn an Größe bei weitem übertrafen) einen Arm gelegt hatte und nun nur einen Meter entfernt – natürlich mit unverminderter Geschwindigkeit - an uns vorüberschritt. Wie wir später erfuhren, hatte er an jenem Abend sein Abschiedskonzert mit Modern Talking gegeben, und die Zeitungen berichteten nachher von irgendwelchen Streitigkeiten mit seinem Gesangspartner. Uns schien er aber bester Laune zu sein. Mehr noch, die Art, wie er zwar keck, aber nicht zu laut scherzend und geraden Schrittes die Begleiterinnen ins glitzernde Hausinnere führte, vermittelte diese Art von natürlicher Laszivität, die man wohl nur einem zwar nicht ganz gesättigten, aber auch nicht mehr allzu hungrigem Lebemann auf seinem abendlichen Heimweg an einem erfolgreich gelaufenen Tag zuschreiben würde.
Das Schöne aber war, dass Thomas Anders uns in dem Moment, in welchem sich unsere Wege kreuzten, ebenfalls einen kurzen Blick zuwarf. Und in diesem Blick lag neben dieser scheinbaren Unbeschwertheit eine Art kritische Verwunderung, dass es soeben fast zu einem Aufprall mit uns hätte kommen können - und das auf dem kurzen Weg zwischen Limousine und Foyer. Es bleibt nur der Phantasie überlassen, welche Begebenheiten sich dann ereignet hätten; ich für meinen Teil wäre aber nur ungern mit Herrn Anders zusammengestoßen, denn es hätte unsere Begegnung und diese Geschichte banal gemacht. Stattdessen erhaschte ich, der künftig Verheiratete, noch kurz die beiden hochgewachsenen Damen, ihre kichernden Stimmen und die samtene Traumwelt des Adlons, die beim Weiterschreiten langsam hinter mir erlosch.
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