Zu meinen Lieblingsschauspielern zählt die Fassbinder-Actrice Irm Herrmann. Eines Tages lud mich ihre Kollegin Carola Regnier ins Theater ein, um einem Stück beizuwohnen, in welchem sie mit Irm Herrmann zusammen auf der Bühne steht. Ich bekam einen Platz in der ersten Reihe und konnte das Stück genau beobachten. Meiner besonderen Aufmerksamkeit galten natürlich Carola und Irm Herrmann. Irm Herrmann spielte eine Frau, die unter permanenten Flatulenzen leidet. Theaterfreunde wissen jetzt sofort, um welches Stück es sich handelt, ich hab den Titel leider vergessen. Es ist aber sehr berühmt. Carola sagte mir vorher, ich solle später am Künstlerausgang auf sie warten, dann könnten wir noch zusammen irgendwo hin gehen, etwas trinken. Bevor Carola am Künstlerausgang war, tauchte Irm Herrmann auf, nahm sich geschwind Schal und Mantel und verschwand wortlos.
Wer hätte ahnen können, dass ich sie gleich am nächsten Tage treffen würde. Ausgerechnet am Kottbusser Tor, auf der Plattform der ranzigsten U-Bahnstation im Herzen Kreuzbergs. Plötzlich steht sie direkt neben mir. Die Bahn fährt ein und Irm Herrmann drängt sich in das übervolle Abteil. Ich steige ebenfalls ein und ergattere einen Stehplatz direkt neben ihr, während sie bereits im Berliner Stadtillustrierten 'Tip' blättert. An der Bahnstation Prinzenstraße halte ich es nicht mehr aus. Ich möchte ihre strenge Stimme hören, die viele schöne Fassbilderfilme so sehr bereichert hat. Ich frage sie: 'Kann es sein, dass ich sie gestern gesehen habe?' Irm Herrmann schaut erstaunt auf, dreht leicht ihren Kopf zu mir und sagt kühl: 'Wohl kaum!' Ich bin total begeistert. Nun ist mir klar, dass sie nicht spielt, sie ist immer so. Sie ist genauso streng in der Kunst wie in echt. Aber damit sie jetzt nicht von mir denkt, ich bin ein schmieriger Typ, der sie anbaggern möchte, sage ich :'Aber sie kennen Carola, nicht wahr? Carola Regnier.' Da hellt sich ihr Gesicht auf, aber nur so weit wie in einem Fassbinderfilm: 'Oh ja, Carola, ach ja. Sie kennen Sie auch?' 'Aber ja. Sie lud mich gestern in die Schaubühne ein, in dieses wunderbare Stück...' 'Es hat Ihnen also gefallen? Das ist fein. Ich treffe Carola heute Abend.' 'Dann grüßen Sie sie bitte von Wolfgang.' 'Bestimmt.Das werde ich tun.' Sie wirft mir einen gefälligen Blick zu, doch kurz darauf versteinern ihre Gesichtszüge wieder und sie blättert weiter in der Illustrierten herum.
An der Station Gleisdreieck stoppt die U-Bahn, die Türen öffnen sich. Es ist Zeit für mich auszusteigen. Ich rufe noch: 'Auf Wiedersehen!' Irm Herrmann hebt ihren Kopf und erwidert streng: 'Machen Sie es gut!' Die Abteiltür schloss sich und die große Schauspielerin tauchte mit der abfahrenden Bahn in das Dunkel der Tunnelröhre.
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