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Thema: Von Waldi, Luz, Iggy Pop, Allen Bangs und Wire.

  1. #1
    Avatar von Sondermann
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    Von Waldi, Luz, Iggy Pop, Alan Bangs und Wire.

    Es ging ab Mitte der 80er, ich war in der Lehre als Drucker und plötzlich reich.
    Meinen Eltern zahlte ich von meinem Lohn nur einen kleinen Betrag für die Miete des Zimmers in dem Dachgeschoss über ihrer Wohnung. Essen und Wäsche machen gab es nach wie vor noch von der Mutter, das ließ sie sich nicht nehmen.
    Geldmäßig blieb am Monatsendes also noch etwas regelmäßig übrig und ich konnte anfangen mir zu überlegen angespart etwas davon zu kaufen.

    Waldi Jaeger war der damalige Diskjockey im Ratinger Hof. Hier, bzw. auf der Ratinger Straße davor, wurde sich am Wochenende getroffen.
    Punk-Rock war da schon komplett tot, er legte eine Mischung aus allem Möglichen auf. Querbeet, Chic, Funk, Madonna, alte Rocknummern wie Led Zeppelin, Slade usw.. Manchmal quatschten wir darüber und so lernten uns kennen.

    Waldi hatte mehrere Besonderheiten:
    - Er hatte ein absolutes Gehör (er hatte auch eine klassische Klavier-Ausbildung). Das heißt er konnte als DJ ohne Mühe mittels Geschwindigkeit des Plattentellers die Tonlagen der einzelnen Sachen im Übergang angleichen. Das funktionierte wirklich gut, verschiedenste Sachen, keine tonale Brüche.
    - Er hatte einen offen, neugierigen Blick mit hellblauen Augen, wirre blonde Haare und eine große, sehr schiefe Nase. Die war schief, weil er als Bassist von Belfegore mal bei einer Probe wohl nicht das Richtige spielte und er vom Band-Boss Meikel Clauss dafür eine harte Kopfnuss verpasst bekam.
    - Und er war gelernter Tischler. Aber nicht irgendein Tischler sondern einer speziell für den Treppenbau. „Da geht es um Harthölzer, das ist anders, dazu braucht man auch andere Werkzeuge“. Er baute mit diesem Wissen und Werkzeugen zu der Zeit in seinem Keller E-Bässe und -Gitarren.
    Meine alte Gitarre war bei irgendeiner Auseinandersetzung im Proberaum ohne meine Anwesenheit gerade unreparierbar kaputt gegangen.
    So bestellte ich bei ihm eine Neue. Preisrahmen 1000 Mark. Ich war wie gesagt zu der Zeit sehr reich.

    Den Bau der Gitarre wollte ich natürlich gerne aus nächster Nähe verfolgen, war ja schließlich auch selber angehender Handwerker und so fing ich an, ihn zu besuchen.
    Waldi bewohnte zu der Zeit mit einem Kumpel ein kleines Haus in Düsseldorf-Lohhausen, direkt am Flughafen.
    Die Zeit des Hauses war abgelaufen, bei der nächsten Erweiterung der Start-/Landebahnen würde es abgerissen. Es war besitzerseitig bereits aufgegeben, die Miete nur noch sehr gering.
    Vor dem Haus standen zwei alte Chevrolet Camaros, einer zum Fahren, der andere als Ersatzteillager. Waldi war Camaro-Fan.
    Zu dem Haus gehörte auch noch ein langes, schmales Grundstück mit Rasenfläche in Richtung der Landebahnen, darauf wuchsen in entsprechender Jahreszeit unter anderem psilocybinhaltige Pilze. Danach wollte ich nie wieder etwas von denen wissen.
    Und in diesem Haus wohnte, oder war zu der Zeit untergekommen: Luz.

    Luz war eine Amerikanerin aus „California“. Aus offenbar bestem Haus, und war nach ihrem Bekunden „Fotomodell“
    Das fand ich komisch.
    Denn Luz sah zwar schon sehr aus dem Ei gepellt aus, sehr gepflegt, sauberes Make-Up und sorgfältig aufgetragene Schminke, aber sie hatte unter ihrem Kinn am Hals einen recht großen Kropf, seitlich gesehen ein bisschen kuhig. Eine makellose Kuh.
    Es löste sich ein wenig auf, weil sie sagte sie sei ein Hand-Modell, sie hätte einfach sehr schöne Hände. Das stimmte. Und könnte schon sein, Düsseldorf war zu der Zeit Werbe-Hochburg, und wer weiß, vielleicht ist die Hand in Palmolive die von Luz.
    Egal, das war alles super-spannend!: Ich hatte ein waschechtes amerikanisches Fotomodell kennengelernt und redete mir ihr auf englisch, was ich ja praktisch gar nicht kann. Aber irgendwie funktionierte es und wurde noch viel spannender, weil sie erzählte von Parties in „California“ wo einmal auch Iggy Pop aufkreuzte, aber der sei ja nur ein „Idiot“ weil er plötzlich mit Hühnereiern dort um sich warf.
    Außerdem sind die Zahnärzte in Deutschland viel besser als die in der USA, deshalb werde sie sie auch hier etwas machen lassen.
    Und außerdem würde sich ihr guter Freund Alan Bangs bald bei ihr melden, es könne wohl was mit der Gästeliste machen für das kommende Konzert von Wire in der Bochumer Zeche, aber sie wisse nicht wie dahin. Sie sei „totaler“ Wire-Fan. Wie ich. Und ich hatte ein Auto.
    Lustiges Blah-Blah in diesem Schrotthaus, mit dieser Dame aus einer offenbar ganz anderen Ecke.
    Der Anruf von Alan kam spätere Tage tatsächlich.
    Ich holte sie ab, wir fuhren dahin.

    Das Konzert von Wire.
    Es fing an, wir standen weiter hinten. Irgendwann stand Alan Bangs neben Luz. Das Blöde an ihm sind seine Haare, die frisch gewaschen komplett albern wie mit Strom aufgeladen alle nach aussen hervorstehen. Auch hier. So einen kann man ja kaum ernst nehmen.
    Was komplett falsch ist, er hatte über den „WDR-Rockpalast“ geradezu subversiv über seinen damaligen Chef Peter Rüchel samt seinem ganzen scheißlangweiligen US-Kram hinweg spannende Bands wie Magazine, Stranglers, Siouxsie and the Banshees, XTC und eben auch Wire auf den Fernsehsender gebracht. Er war somit ein wenig der John Peel des WDR.
    Diese Rockpalaste von/mit ihm waren früher für mich echte Ereignisse und irre wichtig. Geguckt hatte ich sie auf dem alten s/w-Fernseher von meiner verstorbenen Oma in diesem Dachgeschosszimmer in dem ich nun wohnte.

    Wire auf der Bühne, eine einseitige Darbietung. Friss oder stirb. Der zweite Gitarrist stand stoisch mit dem Rücken zum Publikum, der Bassist pumpte mit seinen Kaumuskeln wie ein Boxer-Motor, augenscheinlich mies gelaunt.

    In Alans Begleitung gelangten wir nach dem Konzert in den Backstage-Bereich.
    Es war ein heller, kahl-weißer Neon-Raum, darin U-förmig angeordnet nüchtern messeartige Tische und Stühle. Die Band saß dort, trank was, Wasser oder so. Ich hatte mir ein Bier besorgt, das stand vor mir auf einem dieser Tische. Keiner sagte etwas, es war still.

    Luz und ich sind gut heim gekommen.
    Die Gitarre von Waldi ist leider nicht so gut geworden.
    Geändert von Sondermann (01.07.2025 um 10:24 Uhr)

  2. #2

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    Alan Bangs hatte ab Mitte der Siebziger mitternachts eine Radiosendung namens "Night Flight" auf BFBS, die hat mir an einsamen Samstagen meine Jugend gerettet. Leider erkaltete meine Leidenschaft für ihn von Rockpalast zu Rockpalast, obwohl ich seine Haare völlig okay fand.

  3. #3
    Avatar von Sondermann
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    Das kannte ich auch schon, dieses "Night Flight". Gehört hatte ich das damals im Bett mit einem kleinem Transistorradio und einem von diesen kleinen, weißen Ohrstöpsel-Steckern.
    Meine Eltern sollten davon auf keinen Fall etwas mitbekommen, so bildete ich mir es zumindest ein.
    Also hörte ich das unter der Bettdecke.
    Bin manchmal fast erstickt dabei.

  4. #4
    Seniorita Avatar von elinor
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    Ich weiß nicht mehr, wer von beiden bei mir eher auftauchte - Peel oder Bangs' "Nightflight", auf jeden Fall ergänzten sie einander ganz wunderbar.

  5. #5
    Nomember Avatar von maki
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    Ich mag es, dass der Text so unvermittelt aufhört, weil es kaum eine Band gibt, die die Kunst des unvermittelten (und genau zum richtigen Zeitpunkt) Aufhörens so perfektioniert hat wie Wire. Gibt sogar einen Song darüber ("The Art of Stopping").

  6. #6
    Avatar von slowtiger
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    Alan Bangs hörte ich bewußt 1985 in dem einen Jahr, in dem ich in dem Ort arbeitete, der jetzt abgerissen und weggebuddelt ist. War aber eine Sendung früher am Abend, denn es war noch hell (Sommer). Er hat zwei oder gar drei Wochen lang nur Songs mit Regenbezug gespielt.

  7. #7
    Avatar von Alberto Balsam
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    Ein paar Jahre früher hättest Du Wire sogar im Ratinger Hof sehen können, ich glaub, das war das erste Konzert einer überregionalen Band, die sich das Ehepaar Knoebel leistete.
    Interessant find ich, dass man seinen Eltern Geld für Kost und Logis abgeben musste, durchaus logisch, aber kenn niemanden, der das musste, weiss nicht, ob meine Eltern das von mir verlangt hätten, ich hab zwar mit 16/17 auch schon Geld verdient, aber war dann bereits ausgezogen

  8. #8
    Avatar von Sondermann
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    Das mit der Miete war auch keine echte kategorische Forderung, das kam eher wie eine völlige Selbstverständlichkeit auf den Tisch über die auch ich gar nicht lange nachgedacht habe. Wirklich nicht viel.

  9. #9
    Hühnergott Avatar von Freewheelin_Biller
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    Meine leider verstorbene Schwiegermutter hat, wenn man als inzwischen Gutverdienende beim Essengehen o.ä. auch mal was bezahlen wollte, immer rhetorisch gefragt: "Hast du schon mal einen jungen Vogel gesehen, der einen alten füttert?"

  10. #10
    Abebe Lowumbo Avatar von joq
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    Schöne Geschichte, gern gelesen. Und nach Jahrzehnten daran gedacht, dass ich noch ne merkwürdige Thomas-Elbern- und Escape-With-Romeo-Geschichte habe, die eigentlich ganz gut dazu passt. Mal kucken, vielleicht schreib ich sie noch auf.
    More gin in teacups

  11. #11
    Avatar von Klingeltonk
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    Ich hatte ja das Privileg, durch verständige Freunde sehr früh hervorragende Bands kennenzulernen – und sie dann scheiße zu finden (also die Bands). Joy Division? Kannte ich schon um 1980, fand ich aber „total ätzend“, Can war „total langweilige Kacke“, Motörhead war „totaler Scheißlärm“. Mein Freund Bernhard spielte mir jahrelang geduldig sein halbes Dutzend Wire Longplayer vor, und ich fand sie alle doof. Zu jener Zeit fand ich Tom Waits total super. Viel viel später habe ich mich geschämt, als meine Entwicklung zu Wire etwas aufgeschlossen hatte. Zum Beispiel Heartbeat von Chairs Missing, ach wie wunderbar, entschuldige Bernhard, bitte!

  12. #12
    Avatar von Sondermann
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    So etwas wie "Heartbeat" in dieser stillen Dramatik habe ich auch von keinem je wieder gehört.

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