Während der letzten Buchmesse hatte Harry Rowohlt eine sogenannte Late Night Lesung im Sendesaal des HR. Dort war ich auch.
Vor Beginn der Lesung standen meine Zufallsbekanntschaft und ich noch ein bißchen im Foyer herum und tranken Bier, als er plötzlich auftauchte. Nicht im Jeansjöppchen diesmal, sogar ohne -käppchen, aber natürlich doch und trotz Anzug unverkennbar: Harry Rowohlt.
Im Foyer kehrte ehrfürchtige Stille ein, das vornehme Pendant zum Raunen der Mittelschicht, und Harry Rowohlt strebte ohne Umschweife auf unseren Tisch zu. ³Darf ich das hier mal ablegen?ã brummte er, legte ab und ging weiter, irgendwelche Leute begrüßen.
Was nun auf unserem Tisch lag, war eine nicht mehr ganz weiße und um es höflich zu sagen: prall gefüllte Baumwolltasche. Auf ihr spannte sich in verwaschenem Blau das Logo der Lindenstraße.
Es war kein Zweifel, daß sich in dieser Tasche mindestens das komplette Leseprogramm des heutigen Abends befand. Mehrere spitze Buchkanten waren schon daran, sich einen Weg ins Freie zu bohren, aber noch hielt der Stoff gut dagegen.
Meine Zufallsbekanntschaft und ich sahen uns an. Wir konnten, wenn wir wollten. Die Tasche hier, Harry Rowohlt irgendwo. Aber es war, als habe uns der Herrgott selbst seine Tasche anvertraut, nur um unsere Diskretion auf das Grausamste zu testen.
Wir hielten in stillem Einverständnis durch.
Harry Rowohlt näherte sich irgendwann wieder unserem Tisch. Noch einmal wurde er von einem Offiziellen wortreich aufgehalten, wobei er, mehr aus Ungeduld denn aus Ergebenheit, viele kleine Verbeugungen machte.
Und dann war er wieder bei uns. Brummte ein freundliches ³Dankeã und zog seine Baumwolltasche wieder vom Tisch. Wir hatten bestanden. Wir hatten, wie wir jetzt, aber auch erst jetzt ehrlich sagen konnten, auf die Tasche von Harry Rowohlt aufgepasst.
Als wir nur wenig später erlebten, wie prompt und gnadenlos der große Harry Rowohlt unhöfliches Paparazzen bestrafte, empfand ich dann auch weder Mitleid, noch Schadenfreude. Es war Gerechtigkeit.
Die junge HR-Moderatorin, die mit der eigentlich überflüssigen Aufgabe betraut war, Harry Rowohlt vorzustellen, konnte sich nämlich nicht beherrschen. Mitten auf der Bühne steckte sie ihre Nase tief in die berühmte Tasche. Und damit nicht genug, berichtete sie auch noch allen anwesenden Damen und Herren: ³Ahaaa ... ich sehe ein Deodorant!ã
Harry Rowohlt überlegte etwa zwei Sekunden und brummte dann laut und ruhig: ³Dabei hättÎ ich das gar nicht gebraucht. Sie riechen überhaupt nicht streng.ã
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