Ungefähr 88/89 hab ich eine Zeitung herausgegeben, das war zu einer Zeit als Fanzines der 2ten Generation aus dem Boden schossen wie Kartoffelboviste aus dem Waldboden, der Akne des Waldes, Blättchen in denen es nicht mehr ausschließlich um Musik und dgl ging, sondern in erster Linie freies Gebrabbel, so wie in diesem Forum, erwünscht war. Jedes Thema, jeder Mensch war willkommen, wie beim Freiluftheater in Oklahoma am Ende in kafkas Amerika ("Verflucht sei, wer nicht kommt!"). In Berlin gab es "Ich und mein Staubsauger" und "Felkar´s Ronström", in 8721-Dittelbrunn "Der kosmische Penis", meine Zeitung hieß "Amerikanische Krankenhaus Zeitung". Ich machte bis auf die Texte alles selbst, die kamen von Freunden und Bekannten, auch von Max Goldt, der noch nicht Titanic- und Buchautor war. Ich musste die eingetroffenen Schreibmaschinentexte auf einem Computer mühseligst abtippen, dann ausdrucken, zusammenkleben, kopieren, zusammenheften und verkaufen, viel Aufwand für wenig Lohn, schon immer mein Motto gewesen als Pataphysiker. Weil ich keinen Computer hatte und kein Geld, erledigte ich das alles in einer Nacht an einem Computer der kleinen Stadtzeitung, niemand wußte davon, ich schlich mich abends in die verwaisten Redaktionsräume, ließ mir von einem befreundeten jungen Mann namens Thomas Fürstner (heute Gärtner), der gerade dabei war die Stadtzeitung computertechnisch umzurüsten, das nötigste erklären, der verschwand dann, schloss mich ein, und kam am frühen Morgen und holte mich wieder raus.
Dann hatte ich ca 200 Exemplare hergestellt und trug sie zu den Verkaufsstellen und schickte sie an die Abonnenten, bzw Vertreiber (Tom Scheutzlich zB)
Einaml saß ich wieder unfröhlich vor dem Gerät, tippte so munter vor mich hin, mit Handgelenksschmerzen, kam irgendwie, wahrscheinlich mit dem Ärmel oder dem ausgeleierten Handgelenk an eine mir unbekannte Taste, und plötzlich war alles weg, nicht nur die Texte, sondern alles andere auch, der Computer war aus und mausetot, ich rief Fürstner an: Bitte komm sofort, es ist, galub ich etaws schreckliches passiert. Ich dachte in erster Linie an die Dinge, die ich stundenlang abgetippt hatte, dass ich am Hauscomputer etwas zerstört hätte verdrängte ich aus Selbstschutz. Fürstner sagte, er könne unmöglich kommen, wegen girl oder so, ich rief eine andere Bekannte an, Katharina Weingartner, von der ich wußte, dass ihr Bruder auch ein Computernerd war, ihn erreichte ich, schilderte meine Situation, er müssse bitte sofort zu Fürstner fahren und den Schlüssel holen, hierherkommen und mich retten. Er kam dann auch, ganz junger Knabe, löste das Problem irgendwie, Texte waren verschwunden, aber der Computer ging wenigstens wieder, wir verließen vorzeitig das Haus, weil mir in desem Moment alles egal war, nur weg von der Stätte der Zerstörung, meine Zeitung kann ich ja auch weitermachen, wenn die Luft wieder rein ist.
Als ich ein paar Tage später, mich ahnungslos stellend in die Redaktion kam, brüllte mich der Geschäftsführer an, ob ich da in der Nacht am Computer rumgefummelt hätte, Fürstner hätte sowas angedeutet, dass ich da manchmal was machen würde, ich sagte nein, wieso? Weil da alles abgestürzt sei, alles vernichtet, für einen Tag wäre alles lahmgelegt gewesen, nur dank einer Kindersicherung (wahrscheinlich erst rückwirkend eingebaut)konnte man es noch retten, und du kopierst hier doch auch nicht? In letzter Zeit würde soviel kopiert werden, wieder verneinte ich.
Bei Fürstner in der Wohnung tippte ich dann den Rest der Texte ab, und ließ die Gazette eingehen. Zuviel Stress, zuviel Heimlichtuerei, und einen kleinen Ruhm hatte ich durch sie sowieso schon erreicht.
Katharinas Bruder heißt Hans, und was höre und lese ich jetzt überall: er sei der erste, der mal wieder mit einem deutschen Wettbewerbsbeitrag bei den Filmfestspielen in Cannes am Start ist. Und wo bin ich, immer noch in einer Stinkestube wie damals in der Amerikanischen Krankenhaus Zeitung, zumindest tippen die Autoren mittlerweile ihr Gebrabbel selbst
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