In den späten 80er Jahren arbeitete ich als Kultur-Redakteur einer Wiener Tageszeitung, deren äußeres Erkennungszeichen ihre lachsrosa Farbe ist.
Die Zeitung war jung, unser Ressort klein, wir saßen alle mehr oder weniger in einem großen Raum und die Infrastrukturen waren noch ein wenig ungefestigt. Erst langsam begannen sich die Redakteure, Ressortleiter, Sekretärinnen und freien Mitarbeiter aneinander zu gewöhnen.
Ein zentrales Anliegen der Chefredaktion war (und ist es immer noch), die österreichischen Bundesländer in die Berichterstattung mit einzubeziehen - und zwar auch fernab jener Großveranstaltungen, die ohnehin berücksichtigt wurden. So kam es, dass wir uns von Wien aus um kleinere steirische Ausstellungseröffnungen, salzburgische Lesungen und Tiroler Symposien von eher lokaler Wichtigkeit zu kümmern hatten - immer freilich unter Heranziehung von Kollegen, die vor Ort saßen und die entsprechenden Veranstaltungen wahrnehmen sollten.
So kam es, dass mein "Schef" eines Tages ins Sekretariat hinausrief "Frau H., bitte gebens mir den Walser in Vorarlberg wegen der Schülerausstellung da im Dings ... Sie wissen schon."
Die angesprochene Frau H. rief aus dem Nebenzimmerchen ein fröhliches "Jaha!" und ein paar Minuten später klingelte eines der Telephone und der Schef ging dran.
"Ja, V. hier aus Wien. Grüsse Sie. Hörn Sie, gehen'S doch heute abend zu dieser Schülerausstellung da im Dings, na, Sie wissen schon! Und schreibns uns so 20 Zeilen. Nicht lang."
Unser Ressortleiter verstummte und hörte dem Kollegen aus dem fernen Vorarlberg ein wenig zu, während sich seine Miene kaum merklich verdüsterte. Sein Gegenüber hatte - so seine spätere Erzählung - eingewandt, es habe momentan keine Zeit.
"Wie, Sie haben keine Zeit?"
"Ja, ich muss doch arbeiten!"
"Hören Sie Mal, lieber Herr Kollege - Sie wollen doch was machen für uns, oder? Ja? Und deshalb gehen Sie jetzt bitte zu dieser Schülerausstellung im Dings, na, Sie wissen schon! Und schreibn die 20 Zeilen."
"Aber ich kann leider nicht - ich würde ja gerne, aber ..."
"So wird das aber nichts mit uns, mein lieber Herr. Da bitte ich Sie einmal um was und dann haben Sie keine Zeit!"
Mein Ressortleiter wurde langsam ungehalten, zumal es sich bei dem angefragten Herrn um einen jüngeren Kollegen handelte, von dem man durchaus Willfährigkeit hätte erwarten können.
"Neinnein, ich kann WIRKLICH nicht, es tut mir auch sehr leid, ich würde ja, wenn ich könnte, aber ich muss doch SCHREIBEN!"
"Was schreiben Sie denn da so Wichtiges?" war der letzte selbstbewußt vorgetragene Satz, den ich von meinem Schef noch hörte - was nun folgte war ein Rückzugsgefecht erster Ordnung.
"Einen Roman. Meinen neuen Roman ..." hatte der freundliche Herr am anderen Ende der Telephonleitung gesagt und dadurch die langsam sich kristallisierende Erkenntnis in V. geformt, er könnte unter Umständen mit dem falschen Herren telephonieren.
"Aha ... aha ... dann ... ja, oh ... ich fürchte .... das tut mir jetzt aber wirklich sehr leid, entschuldigen Sie vielmals .... da kann jetzt nur ein Versehen sein ..."
Nach einer Girlande von Entschuldigungen und Erklärungen verabschiedete sich mein Ressortleiter V. von seinem Gesprächspartner, schmetterte - ganz seinem gelegentlich cholerischen Naturell entsprechend - den Hörer auf den Apparat und brüllte "Frau H.! Frau H.! San Sie wahnsinnig wordn? Mit wem verbinden Sie mich denn da?"
Der Ressortleiter hatte eben versucht, den großen Schriftsteller Martin Walser mit dem Versprechen, er könne für eine Wiener Tageszeitung 20 Zeilen über eine Ausstellung von Schülern schreiben, von seinem eben entstehenden Roman wegzulocken. Was ihm - wie die Geschichte zeigt - leider nicht gelungen ist.
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