Das Glücksrad wird eingestellt. Am 31.10. ist es aus und vorbei, vermutlich meinetwegen. Das tut mir leid.
Angefangen hatte meine Glücksradkarriere im Mai 1998. Die Sendung war bei SAT1 abgesetzt worden und sollte fortan bei Kabel1 die alten Menschen ein wenig vom Sterben ablenken. Um jedoch auch ein jüngeres Publikum anzusprechen, hatte sich der Produzent einen jungen Autor besorgt, der mit pfiffigen Texten die Produktpräsentationen gestalten, mit raffinierten Anmoderationen das Moderatorenteam Meissner/Kraus glänzen und die gesamte Show durch witzige Sprüche zu den Kandidaten aufwerten sollte. Das war ich.
Meine Aufgaben erledigte ich gewissenhaft und konnte somit in Kürze für unerwartet hohe Einschaltquoten sorgen. Begeleitet von großen Werbekampagnen wurden meine Texte sehr schnell von immer mehr Senioren und Leichen in spe rezipiert. Ich hatte sie in meiner Hand. Mit schockierenden Gags schickte ich Sendung für Sendung einzelne in die ewigen Rategründe, lockte aber auch junges Blut vor die Bildschirme und ließ die angestaubte Sendung ungeahnte Erfolge feiern.
Nach rund 200 aufgezeichneten Sendungen sah ich meine Arbeit als erledigt an. Ich brachte einem anderen Jungautor die Kniffs und Tricks der Glückradwelt bei, verriet ihm die geheimen Rezepte des Erfolgs und nahm meinen Hut. Die gesamte Crew stand mit Tränen in den Augen da, als ich das letzte Mal meine Textentwürfe an die Moderatoren verteilte. Dann verschwand ich. Das war der Anfang des Untergangs einer großen Unterhaltungsshow.
In der Adventszeit bekam ich dann Post von dem kleinen Sender, der dank mir und meinem selbstlosen Einsatz für seine Quoten nun schon fast zu den Großen gezählt werden konnte. Man lud mich zur Weihnachtsfeier ein, einem fröhlichen Get-together an einer Go-Cart-Bahn in München. Und obwohl ich an jenem Tag auf Wohnungssuche in Berlin gehen wollte, sagte ich zu. Man sollte nie eine Chance ausschlagen, Dank entgegenzunehmen.
Leider sagte ich kurz darauf auch noch einen Kurzauftritt bei einem kleinen Comedy-Duo am selben Abend zu. Ich wollte zwei jungen Komödianten bei ihrem Aufstieg in die schöne und heile Medienwelt unterstützen, dafür sorgen, dass sie von der Bühne in die Lichtspielhäuser unserer Nation gelangen würden. Sie nannten sich "Erkan und Stefan" und persiflierten junge Deutsch-Türken in ihrem Act. Um ihre vorweihnachtlichen Auftritte aufzupeppen, wollten sie am Ende der Show Adventslieder singen und suchten noch einen fähigen Gitaristen, der sie in einem hellblauen Hasenkostüm begleiten würde. Das war das Mindeste, was ich für die beiden Prollclowns machen konnte.
Und so startete ich in die Nacht. Mein weißer Volvo 245 GL glitt mit mir durch das Schneegestöber, hin zu jener Go-Kart-Bahn, wo die Senderbelegschaft schon wartete, mir für den gelungenen Start ihrer Show zu danken. Hier ein warmer Händedruck, dort ein Gläßchen Prosecco, darauf ein Bier und ab auf die ersten Qualifyingrunden. In meinem Team war die junge Sonya Kraus, der ich noch vor einem halben Jahr die Texte geschrieben hatte, mit denen sie die verschiedenen Ratebereiche mal witzig, mal hintergründig anmoderieren konnte.
Mir reichte die Zeit gerade noch, das gesamte Feld in die Schranken zu verweisen und eine elegante Bestzeit auf das Asphalt zu legen, bevor ich schon wieder in meinem Kombi zum nächsten Auftritt raste. Backstageeingang, rein in das Hasenkostüm, warten. Die verdammte Show hatte leicht Überlänge, die jungen Entertainer überzogen. Damit hatte ich nicht gerechnet, blieb aber porfessionell cool. Dann der Auftritt. Ich werde als „scharfes Bunny“ mit meinem Freund Max, der ein rotes Hasenkostüm trägt, auf die Bühne gebeten und rocke hart ab. „Oh Tannebaum“ in einer ulkigen Spaßversion. Das Publikum ist begeistert, die Show gerettet, der Weg der beiden Spaßkanonen eindeutig auf Erfolg ausgerichtet.
Zurück zum Go-Kart-Rennen. Meine Mannschaft hat den Vorteil der Poleposition nicht ausnutzen können und gurkt auf dem vierten Platz herum. In meiner Eile habe ich das Hasenkostüm angelassen und werde sofort auf die letzten zehn Runden geschickt. Es gelingt zwar, zwei Plätze gutzumachen, aber der führende Fahrer fährt einen sehr unvorsichtigen Stil, der auch andere gefährdet. Die Abgase seines Karts peitschen gegen mein Kostüm. Die Menschen sind begeistert ob des harten Zweikampfs. Nach einer Runde habe ich herausgefunden, wo ich überholen kann – direkt vor der ersten Schikane. Aber der Fahrer, ein Unterhaltungsredakteur, schneidet mir sehr unsportlich den Weg ab. Beinahe wäre es zu einem Unfall gekommen. Ich verzichte auf den Sieg und lasse ihn ziehen, da mir die Sicherheit der restlichen Beteiligten wichtiger ist als eine schnöde Goldmedallie.
Trotzdem werde ich natülich wieder gefeiert. Erneut habe ich gezeigt, dass man ganz vorne mitspielen kann, wenn man den richtigen Einsatz bringt. Gleichzeitig konnte ich auch noch darauf hinweisen, dass einem auf dem Weg an die Spitze nicht jedes Mittel recht sein darf und auch die Siegermannschaft kommt – bis auf jenen Redakteur – zu mir und schüttelt mir die hellblaue Pfote. Allen ist klar, wer an diesem Abend der eigentliche Gewinner ist.
Die nächsten Stunden laufen sehr angenehm. Es wird gescherzt, getanzt und geredet. Dazu trinken alle Prosecco, was mir jedoch nicht genügt. Ich bin gerade mit Hans, der Glücksradstimme, in ein Gespräch vertieft, als die Bedienung zu uns kommt und auf meinen Wunsch kommentarlos eine Flasche Champagner serviert. Momente später sitzen Produzenten, Abteilungsleiter des Senders und die Moderatoren des Flagschiffs von Kabel1 an unserem Tisch und schütten das edle Getränk in sich. Mich wiedert dieser respektlose Umgang mit einem so feinen Trank etwas an. Doch langsam legte sich auch über meine Seele ein sanfter Rausch, den ich mehr und mehr mit Bollinger nährte.
Zeit verging und Stunden flossen vorbei, die Runde wurde kleiner, bis ich zuletzt allein mit der charmanten Buchstabendreherin am Tisch saß. Sie erzählte von ihrem Haus in Frankfurt, das sie selbstständig ausbaute, ihrem Kampfhund Tito und ihrer Mutter, mit der sie zusammenwohnte, ich von meinem anstehenden Umzug nach Berlin. Neben uns stellte man schon die Stühle auf die Tische und so beschlossen wir mit einem Taxi in das Nachtcafe zu fahren, dem einzigen Club, der zu solch später Stunde in München noch anständige Cocktails servierte.
Was soll ich sagen? Ich trat in meinem hellblauen Kostüm in eine kleine Hochburg der Münchener Society, der Dummschwätzer und Nachtschwärmer, mit denen ich sonst so wenig zu tun hatte. An meiner Seite die angeschlagene Glücksfee, die mich, an einem Tisch angekommen, promt sitzen ließ und auf die Toilette verschwand. Dort blieb sie lange. Sehr lange. So lange, dass ich nach meinem ersten Gin Tonic eine andere Dame bemühte, doch einmal nach dem Rechten zu sehen. Sie kam zurück und erzählte mir, was geschehen war.
Die gute Frau Kraus lag dort unten vor einer Schüssel und kämpfte mit dem Champagner, der ihr mittlerweile, und das sage ich nun extra so scherzhaft, zum Hals heraushing. Sie reierte und übelte, spieh und kotzte, was das Zeug hielt. So zumindest wurde es mir erzählt. Ich ließ ihr ein Wasser bringen und setzte sie in ein Taxi, nachdem sie sich eine halbe Stunde später, zerzaust und fertig, wieder an den Tisch gehieft hatte. Ein gelungener Abend.
Wer nun deuten möchte, dass an jenem Abend irgendwelche erotischen Abenteuer beabsichtig gewesen wären, sei gescholten. Ich bin nicht so einer, der sich von jeder ins Bett ziehen lässt. Klar, Erfolg macht sexy, aber man muss sich nicht zur männlichen Hure machen. Es gibt auch Abende, an denen ein Mann und eine Frau einfach gemeinsam bis zum Abkotzen saufen können. Das war einer und ich bin Gott.
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