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Thema: Artmann, H.C. (und ich)

  1. #1
    der hausm Avatar von anko
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    In den Jahren 1984 bis 1996 feierte ich Weihnachten nicht mit meiner genetisch als solchen definierten Familie, sondern mit meiner Ersatzfamilie in Graz (Oesterreich), die aus einer lieben Freundin (Regine) bestand, sowie deren geschiedenen Mann (Dirk), deren beiden Toechtern (Lotte und Liese) und - in den letzten beiden Jahren - aus einem fusskranken, liebenswuerdigen Lyriker, der den Abend lamentierend auf einer Chaiselongue verbrachte.
    Zum Weihnachtsritual gehoerte eine kleine Bescherung, ein Abendessen - und der abschliessende Besuch bei einer befreundeten Familie meiner Ersatzfamilie. Dort war stets eine grosse Runde versammelt, u.a. die Gastgeberin und deren Schwester. Diese Schwester wiederum war verheiratet mit dem grossen oesterr. Schriftsteller H.C. Artmann.
    Der absolute Hoehepunkt des Besuchsprogramms war in den vergangenen zwoelf Jahren folgende Szene: Wir betreten das Wohnzimmer. Daselbst viele Menschen, die uns freudig begruessen. Einem nach dem anderen schuetteln wir die Hand, man kennt sich, nach den vielen Jahren.
    Dann kommt die Reihe an H.C. Artmann, der meist in der Küche sass und Kette rauchte. Lotte, die Ersatzfamilientochter, stellt sich ihm vor: 'Lotte. Ein schoenes Weihnachtsfest.' Artmann stellt sich ebenfalls vor und wuenscht ihr ein schoenes Fest. Dann bin ich dran. Ich stelle mich vor: 'Christian Ankowitsch. Ein schoenes Weihnachtsfest.' Artmann stellt sich ebenfalls vor und wuenscht mir ein schoenes Fest.
    Jedes Jahr von neuem, mit nicht nachlassender Freundlichkeit, haben wir einander gesagt, wie wir heissen. Und stets begann die Zeitrechnung am 24.12. eines Jahres von vorne. Zumindest fuer den Schriftsteller. Oder er kannte mich laengst und war nur zu schuechtern, mich zu begruessen?
    Jahrelang hiess es deshalb auch zwischen Lotte und mir: 'Gehen wir uns dieses Jahr wieder vorstellen?'
    Nun ist H.C. Artmann tot. Ich liebe seine Buecher sehr. Und ich bin stolz darauf, mich ihm genau 12 Mal vorgestellt zu haben, wenn das auch keinen literarischen Niederschlag gefunden hat. Mich troestet, dass ich der idealtypische Paparazzi war.
    so long, anko
    (Beitrag wurde von anko am 21.02.2001 um 15:06 Uhr bearbeitet.)

  2. #2
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    Elf mal die erste Begegnung unter genau gleichen Bedingungen wiederholen, ohne ihr auch nur ein Jota an Zufaelligkeit (im Sinne dieses Forums) zu nehmen, da bin ich baff und begeistert in einem.
    (Beitrag wurde von elle otto am 21.02.2001 um 17:37 Uhr bearbeitet.)

  3. #3
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    rosa pock

    das war doch bei der weithin bekannten grazer familie pock? haben frauen berühmter männer keinen namen?

    für nicht-austriaken: rosa pock ist die witwe von h.c. und stammt aus einer weithin bekannten grazer familie!

    im weiteren sinn gehört auch der schriftsteller peter rosei dazu (ist glaub ich mit einer schwester von rosa verheiratet).

  4. #4
    Avatar von Bartholmy
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    Schön. Schön, das es so sein kann, und auch noch so häufig, und so sicher, und so festgefügt.

    Da ich Artmann nie begegnet bin, ihn auch nie live gehört habe - und vermute, dass es einigen anderen auch so geht - , hier von ihm gelesen, das Gedicht:

    noch ana sindflud
    (anhören)

  5. #5
    PTS Avatar von peterthomassuschny
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    @Anko
    Verraten Sie uns nur, ob H. C. Artmann tatsächlich den Titel Professor h. c. H. C. Artmann trug, oder ist das nur ein Scherz auf seinen abgekürzten Vornamen gewesen?
    War ein sympathischer Mann, neben dem Gelände der Wiener Internationalen Gartenschau 1964 (Donauturm) auf der ehemaligen Müllschüttung Bruckhaufen errichtet, wurde noch Mitte der 90er ein Neubauhaus quer über die Fassade mit einem Gedicht von ihm beschrieben, geübte Botendienstfahrer wie Herrn Suschny erkennt man daran, daß sie schnell vor dem Eintauchen der A 22 in dem kurzen Tunnel zwischen WIG und Donauinsel immer versuchen, etwas von H. C. s Gedicht zu lesen, ohne mit dem Auto anzufahren :-)
    Beste Grüße
    "Mr. Roaring Sixties"

  6. #6
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    ha tsee

    war ha tsee. "wie der ha tsee noch gelebt hat..." usw.

    "nua ka schmoez how e xogt!
    nua ka schmoez ned..

    reis s ausse dei heazz dei bluadex
    und haus s owe iwa r a bruknglanda!"

  7. #7
    Member Avatar von Mr. Knister
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    Ein sympathischer Mann, in der Tat. Ich erinnere mich: Vor ein paar Jahren hingen in den Salzburger Bussen Artmanns Gedichte an den Fensterscheiben. Ich war mir nicht sicher, ob das für die Touristen arrangiert wurde oder einem tatsächlichen Bedürfnis entsprang, die busfahrende einheimische Öffentlichkeit mit seiner Lyrik in Berührung zu bringen. Ich bin mir bis heute nicht sicher.
    Kim ist noch da.

  8. #8
    psychohasi Avatar von Nicki Tuete
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    Anfang/Mitte der 80iger Jahre hatte ich das Vergnügen in Bad Ischl, in einem damals sehr verrufenen Lokal, einer H.C. Artmann-Lesung beizuwohnen und ich war wirklich sehr beeindruckt.

    Von dieser Lesung existierten feine schwarz/weiss Fotos, aber da sich der Lokalbesitzer kurze Zeit später eine Kugel durch den Kopf gejagt hat, ist der Verbleib dieser leider ungeklärt.

    Schade!

  9. #9
    sqm
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    Eine äusserst wuchtenswerte Geschichte.

  10. #10
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    die anziehungskraft der pock-schwestern

    teilt sich durch die geschichte jedenfalls mit: attraktion, gravitation, durch den diskreten paparazzo nachvollziehbar gemacht.

  11. #11
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    Ich werde meine Geschichte jetzt an diesen Strang hängen, - ich hoffe, das ist kein faux pas - da ich die Weihnachtsgeschichte so schön finde und sie mir die meine zurückgerufen hat, die allerdings wahrscheinlich wg. des ausufernden 70er-Intros in AllesBonanza gepasst hätte. Wie dem auch sei: Meine Geschichte geht so:

    Artmann, H. C. und Bauer, Wolfgang spendieren mir eine Reise

    Von Christian Ankowitschs obenstehender Weihnachtsgeschichte wissen wir, dass der österreichische Poet H. C. Artmann ein Freund der Wiederkehr des Ewiggleichen war, um es freundlich auszudrücken. Diese Eigenschaft war für mich zu Zeiten von hohem Nutzen.

    Franco regierte noch mit zittrig-eiserner Hand in Spanien und ich wollte in den großen Ferien dorthin Interrail fahren - ich war neunzehn und hatte ein dürres Jahr im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten zwischen endlosen Maisfeldern und Watergate-Prozess im Fernsehen hinter mir. In Graz erlebte ich soeben mein erstes Semester an der Universität und das Forum Stadtpark seine Hochblüte. Das Forum Stadtpark war ungefähr ein Vorläufer der hoeflichenpaparazzi im real life, nur dass es sich um zumeist unhoeflichedichter handelte. Der ‚steirische herbst’, ein Avantgardefestival, schrieb sich schon klein, das hängt auch mit dem Forum Stadtpark zusammen. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Ich bewohnte die erste meiner vielen spektakulären Bleiben, eine hohe Kapelle, deren elektrische Heizung in jenem kalten Februar Unsummen verschlang. Dennoch fühlte man die Wärme nur, wenn man sich oben auf dem Schrank aufhielt. Das kam, weil die Kapelle wohl fünf oder mehr Meter hoch war, wenn sie auch nur drei Meter im Quadrat maß. Oben war ein Kreuzgewölbe. Das war schön, wenn man im Bett lag und hinaufschaute. In der Altarnische befand sich ein altmodischer Waschtisch mit Marmorplatte, Wasserkrug und Waschschüssel aus Steingut zeigten ein hübsches Rankenmotiv aus dem Jugendstil, und der geschliffene Spiegel darüber ließ sich so manche kleine Messe lesen von mir, morgens oder auch um Mitternacht. Herrenbesuch war untersagt in der Kapelle, das versteht sich von selbst. Das Fenster in der meterdicken Mauer ging auf einen Innenhof mit einem Laubengang aus der Renaissance. Ich studierte ja auch Kunstgeschichte, und so war ich glücklich.

    Um zu Geld zu kommen, und auch um endlich mit dem richtigen Leben zu beginnen, heuerte ich während der Semesterferien in jenem kalten Februar als Servierkraft im ersten richtigen Szenelokal der Grazer Altstadt, im Glockenspielkeller, an. Der Keller war nicht so richtig unter der Erde, aber er lag doch deutlich tiefer als die Straße, drei vier Stufen vielleicht. Wunderbare Gewölbe, trendige Theke, unendlich verwinkelt. Und gesteckt voll, Abend für Abend. Das Etablissement befand sich in unmittelbarer Nähe meiner Kapelle am Bischofsplatz, gerade einen Platz weiter, am Glockenspielplatz eben. Alles sehr praktisch. Zehn Abende ging ich hin in diesem Februar, dreimal die Woche. Zwischen zehn Uhr abends und zwei Uhr früh brachte ich tausend Schilling (gut 70 €) allein an Trinkgeld zustande, mehr als genug für Reise und Heizung. Wie dieser für damalige Zeiten sensationelle Output zustande kam, will ich nun erzählen:

    Das Lokal war in. Extrem in sogar, da es eben das erste und - noch - das einzige seiner Art war. Es gab wenige Tische, viel Spiegel und ein kräftiges Bord in Thekenhöhe lief rund entlang der Wand unter den Spiegeln. Die wenigen Tische waren in einem Raum weiter hinten, den man nur durch einen schmalen Durchgang erreichte. In der dominanten Ecke dieses Raumes residierten Abend für Abend zwei Männer und tranken Bier. Sie kamen gegen elf und blieben bis zum Schluss. Dann wussten sie, wo es noch weiterging. Diese Männer waren der bereits als Liebhaber der Wiederkehr erwähnte Poet H. C. Artmann, hoch im Dichterruhme, und der frisch drauflos skandalisierende Jungdramatiker Wolfgang Bauer, Magic Afternoon, ebenfalls leider schon auf dem Gipfel seines Ruhmes, was er damals aber noch nicht wusste. Die beiden waren im Allgemeinen guter Dinge und hielten wohl auch ein bisschen Hof. Ich hatte Freude an dieser Kundschaft, so wie sie an mir. Ich, weil ich mich gehoben fühlte, solch prominentes Publikum zu bedienen, sie, weil ich es überhaupt schaffte, zu ihnen vorzudringen durch die dichtgedrängten Gäste mit dem Trunke - das sei schließlich an den andren Abenden, an denen ich nicht da sei, keineswegs gewährleistet etc. p. p.. Ich war sehr stolz auf meine sich abzeichnende Begabung in der Betreuung schwieriger Künstler. Außerdem war ich jung, dazu blond und langhaarig, wie eben die Zeit und meine Frohnatur es mit sich brachten. Die beiden hatten, wie man so sagt, einen ordentlichen Zug und ich ein gutes Gefühl fürs Timing. So jubelten wir einander gegenseitig hoch, wenn ich auf Verdacht mit den nächsten beiden Halben Bier eintraf, während sie gerade den letzten Zug aus dem alten Krügel taten. Dafür bekam ich, - denn in so einem Lokal muss man sofort kassieren, oder man kann es gleich lassen, - jedes Mal einen Hunderter, das bedeutete ein Trinkgeld von weit über hundert Prozent. Abwechselnd reichte mir den Schein mit den Worten „Stimmt schon!“ der Grandseigneur Artmann im grauen Tweed oder der füllige Bauer im gemusterten Hemd bzw. im Rippenpulli. Wir schreiben die mittleren Siebziger Jahre. Und so sahen wir auch alle aus. Nur Artmann sah eigentlich noch ein wenig aus wie Jean Marais privat - sehr attraktiv, nicht nur, wenn man Cocteau gewesen wäre, namentlich in dieser schummrigen Beleuchtung. Ein klassischer, freundlicher, eleganter Mensch eben. Weshalb sehe ich den typischen Schnauzbart nicht in meinem inneren Auge? Vielleicht war er eben nicht da, zu dieser Zeit. Dafür, glaube ich, trug der dunkelhaarige Bauer – kein so leiser Mensch übrigens, damals -, außer dem engen Hemd einen Oberlippenbart in der Art eines Zuhälters, was in jenen Jahren modern war, sogar bei ganz normalen Leuten. Und er hatte meines Wissens seine Freundin noch nicht aus dem Fenster geworfen. So hatte ich auch nichts gegen ihn. Wenn man sie so sah, saß Artmann links auf der Eckbank, entspannt an die Wand gelehnt, vielleicht das Bein übergeschlagen, rauchend, Bauer rechts, eher vorgeneigt und immer ein wenig auf dem Sprung. Bauer saß immer zur Linken von Artmann, über Eck. Niemals war eine Frau dabei. Die zahlreichen Adoranten konnten sich danebenquetschen auf die Bank oder davorstehen. Und ich hatte Vorrang! Mit dem Bier.

    Wie gesagt, nach zehn Abenden hatte ich das Geld beisammen, das mir ein sorgloses Leben bis zum Herbst erlauben würde. Den Glockenspielkeller betrat ich nie wieder. Zu teuer, zu voll. Artmann, der Freund der Wiederkehr, sollte meinen Weg wieder kreuzen, Bauer nicht.

    In Spanien in diesem Sommer, auf der Interrailreise, die ich den Dichtern verdanke, nahm uns die Guardia Civil im Zug ein Buch von Kafka ab. Index.
    kein zeichen am himmel

  12. #12
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    die zweite achschöne Geschichte heute!
    die erste ist vom Tex und steht im Falter.

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