Unser Deutschlehrer am Gymnasium, 'der Müller', hatte die bewundernswerte Gabe, komplizierte Sachverhalte einfach darzustellen und den Unterricht mit seiner ironisch saloppen Art aufzulockern. So erinnere ich mich noch genau an eine Lektion, wo er, nach seiner Interpretation einer Passage aus Schwitters' Gedichten, einen Mülleimer schwang, ihn in die Mitte des Zimmers schliddern liess und, als der Eimer ruhte, darauf zeigend abschliessend bemerkte: 'Da! Da! Das stell' ich jetzt einfach mal so in den Raum'. Schwitters gehört auch heute immer noch zu meinen Lieblings-Autoren.
Durch den Müller wohnte ich meiner ersten Autorenlesung bei, denn gegen Ende unserer langen Jahre am Gymnasium organisierte er einen Auftritt des mir damals völlig unbekannten Robert Gernhardt in der Bibliothek unserer Schule. 'Kann man sich ja mal ansehen', dachten sich ein paar aus unserer Klasse, zumal auf dem alkohol-matrizierten Poster mit der Ankündigung auch noch das Wort 'Apéro' erwähnt war; in der Schweiz immer ein untrügliches Zeichen für Gratisgetränke und belegte Brötchen. Dafür liess man auch gerne eine Stunde Literatur über sich ergehen.
Am Abend als wir uns einfanden, herrschte schon erwartungsvolles Raunen in der Bibliothek. Man hatte extra aus Turnhallenmaterial eine kleine Bühne errichtet mit einem Pult und einem Stuhl aus einem der Klassenzimmer. Das ganze hatte zwar etwas Amateurhaftes, aber das kümmerte niemanden.
Unerwartet waren mehr Schüler als geplant eingetroffen und der Hausmeister weibelte geschäftig hin und her, um zusätzliche Stühle heranzuschaffen.
Auf dem vorbereiten Tisch standen ein Glas Wasser und eine Leselampe, welche bereits angeschaltet war und einen elliptischen Lichtfleck auf den Schultisch warf. 'Aha', dachte ich mir. Dieser Autor scheint es zu was gebracht zu haben, nicht mal die Lampe muss er selbst anknipsen. Auch die Anzahl Anwesender liess mich erahnen, dass dieser Autor bekannter sein musste, als ich mir bewusst war. Ich liess mir meine Unwissenheit nicht anmerken und setzte mich hin. Als die letzten Anwesenden bestuhlt waren, betrat der Müller die Turnbühne und eröffnete den Abend mit einer kurzen Laudatio, dann kam Gernhardt und begann zu lesen.
Der Mann hatte was Imposantes. Damals schon leicht ergraut mit einer erstaunlichen Strubbelmähne,. Er hatte einen hellen Wollschal um sich geschlungen, trug einen graubraunen Strickpulli und eine, so gaukelt es mir meine Erinnerung vor, dunkelbraun-olivgrüne Manchesterhose.
An den Inhalt der Lesung erinnere ich mich nicht mehr so genau. Ich weiss nur noch, dass ich mich irgendwie amüsiert habe; dieser Gernhardt traf genau meinen Humor, damals. Erst viel später habe ich dann mehr über diesen Mann rausgefunden.
Nach der Lesung wurden wie erwartet die Getränke und Schnittchen aufgefahren: Sekt für die Lehrer und Gernhardt, Orangensaft für die Schüler. Die Sandwiches waren für alle gleich, Gernhardt ass aber keine.
In der Bibliothek war natürlich Rauchen strengstens untersagt, so traf man sich zu einer Zigarette zwischendurch auf dem Gang. Als ich meine etwa zur Hälfte runtergeraucht hatte, gesellte sich Gernhardt, auch zum Rauchen auf den Gang genötigt, zu unserem Grüppchen dazu, fragte mich nach Feuer und steckte sich irgend etwas stark riechendes in Brand. Gauloise ohne Filter, glaube ich mich zu erinnern.
Ich sagte ihm, er könne die Schachtel Streichhölzer ruhig behalten. Gernhardt steckte sie ein und klopfte sich lächelnd auf die Hosentasche, in der die Hölzer verschwunden waren. Zum Dank hat er mir dann in seine 'letzte Ölung' auf meinen Wunsch einen Fuchs reingemalt.
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