Es ist einer dieser Momente, die dem Leben eine neue Richtung geben. Frunk und ich besuchen das Melanchton-Oberseminar von Professor Wolfhart Pannenberg. Pannenberg ist eine der Größen, wenn es um die Ökumene geht, die Wiedervereinigung der seit der Reformation gespaltenen christlichen Kirche. Heute, kaum 15 Jahre später, ist dieses Thema aktueller denn je.
Ich bewundere den großen Münchner Theologen sehr, weil er es wie kein anderer versteht, die Grundlagen des christlichen Glaubens klar darzulegen und in ihren Begründungzusammenhängen außergewöhnlich stringt zu entwickeln. Pannenberg kennt die Angriffspunkte gottloser Argumentationen genau und verschließt auch vor deren systematisch-theologischen Konsequenzen niemals die Augen. Seine Frau bereitet herrliches Gulasch, zu dem er köstlichste Weine kredenzt. Beide sind großartige Gastgeber.
Frunk und ich sitzen in der letzten Reihe des übervollen Seminarraums. Das Semester ist beinahe vorüber. Pannenberg philosophiert über das Verhältnis Melanchtons zu Luther. Schon früh habe dieser die Vereinigung der eben zerrissenen Kirche angestrebt und sich auch in seinen Schriften den katholischen Positionen vorsichtig wiederangenähert. Im Gegensatz zu Luther, der zu dieser Zeit in endzeitlichen Visionen gefangen war, habe Melanchton versucht, zwischen den Lagern zu vermitteln.
»Stellen Sie sich nur vor, die Kirche wäre zu diesem frühen Zeitpunkt wiedervereinigt worden«, Pannenberg gerät ins Schwärmen. Wovon wären wir da nicht verschont geblieben: »Wieviel Leid und Elend. Die Religionskriege!«, Pannenberg läuft jetzt zu Höchstform auf, »Ja sogar die ganze Entstehung der säkularen Welt wäre uns erspart geblieben!!« Andächtig, angetan von seiner Argumentationskette, senkt der Theologe das Haupt. Dann blickt er sich im Seminarraum um. Überall betretenes Schweigen. Die Studenten starren betroffen nach unten, viele nicken. Ja, ja, schlimm, schlimm! »Verdammt, ich gehe gerne ins Kino«, denke ich und muss laut loslachen. Da trifft mich der Blick seiner Assistentin Christl Pfeil wie ein Blitzschlag. Wenn Blicke töten könnten wäre ich vermutlich zu Staub zerfallen. Pannenberg sieht mich an und beginnt sehr breit zu grinsen.
* für Alfred, den das freut
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