Der Muskelmann, sein Junglakai und das Mädchen
April 2002. – Ich saß mit ein paar Freunden im Trader Vic‘s, dem Tiki-Nachtclub unten im Bayerischen Hof. Wir gehen da gerne hin, weil sie schön starke Mai Tais mixen und mit ihrem Chinese Oven einfach unglaubliche Barbecued Spareribs zaubern. Man sitzt da angenehm bequem in gepolsterten Tropenmöbeln rum, raucht Zigarren und zählt die Fake-Blondinen im Durchgangsverkehr zwischen Bar und Restaurant. Zudem ist das Trader Vic‘s ein Popular-culture-Schrein, verkörpert es doch das weltweit besterhaltenste Exempel für die verblichene Tiki-Kultur. Ein komplett künstliches polynesisches Ambiente bietet sich dem Auge dar, asiatische Kellner in dunklen Anzügen und Kellnerinnen in blumengemusterten Sarongs schlängeln sich zwischen geschnitzten Holzstatuen von Südseegöttern, geflochtenen Bambuswänden und Lampenschirmen aus getrockneten, aufgeblähten Kugelfischhäuten entlang. Die Schlägerei, bei der Liam Gallagher (der Sänger von Oasis) jüngst einen Zahn verlor, fand allerdings nicht hier statt, wie mehrfach falsch berichtet wurde, sondern nebenan, im Night Club. Ja, der Bayerische Hof hat nämlich zwei Nachtclubs, und an den schlechtesten Tischen vom Trader Vic’s hört man durch die Wand die Liveband von nebenan, was sich mit der schlechten Unterhaltungsmusik vermischt, die sie leider Gottes in der Tiki-Bar so gerne auflegen.
Wir saßen selbstverständlich an einem der besten Tische, genau dort, wo der Barbereich fließend in das polynesische Restaurant übergeht. Es war so gegen Mitternacht, da wurden zwei Personen vom Oberkellner an uns vorbei ins Restaurant geführt. „Hey, da ist ja Ralf Möller, der starke Muskelmann!“, sagte mein Freund von Moltke, der Prominentensichtungen stets schneller registriert als ich.
Also sah ich genauer hin: Ralf Möller und eine junge Frau nahmen in einem Séparée Platz, das mir schräg gegenüber lag und das ich deshalb gut einsehen konnte. Die Frau war eine zierliche Schwarze, jung, höchstens 25 Jahre alt, hatte einen Lockenkopf, und trug eine enge Hose. Ihren Begleiter sah ich nur von hinten, er war groß, zwei Meter bestimmt und ich sah nur Rücken, Rücken, Rücken, denn der spannte sich unter einem engen Shirt in Breitwandformat vor mir auf. Ja, logisch, das war Ralf Möller, letzte Zweifel beseitigte der Klang seiner Stimme. Denn die beiden redeten Englisch miteinander, oder vielleicht war es auch Deutsch, das kann man bei diesen Geschöpfen, die nach ein paar Monaten „drüben“ auch ihre Muttersprache nur noch mit einem lächerlichen Spaßemigrantenakzent nuscheln, ja nicht so genau unterscheiden.
Bekanntlich sieht man recht viele Prominente in München, besonders im Bayerischen Hof und ganz speziell unten im Trader Vic’s: Neil Tennant von den Pet Shop Boys saß schon mal recht abgespannt inmitten einer Gruppe von jungen männlichen Groupies am großen Tisch neben den Toiletten (es gibt über Tennant leider nichts zu erzählen, weil er wirklich die ganze Zeit nur regungslos da saß, ich fürchtete schon, gleich würden sie ihn steif und erkaltet weg tragen und das wäre es dann gewesen mit den Pet Shop Boys), und Joachim Fuchsberger kommt im langen dunkelblauen Mantel und speist hier zur Nacht, wenn er zusammen mit Ralf Bauer oben in der Kleinen Komödie sein irres Boulevardtheaterstück gespielt hat.
So sollte ein schauspielender Bodybuilder, der es in Hollywood immerhin schon zum Komparsen neben Russell Crowe brachte, hier eigentlich nicht für Aufregung sorgen. Dennoch glaube ich nicht, dass sie im Trader Vic’s jedem halbwegs Prominenten einen eigenen Kellner zur Verfügung stellen, der den ganzen Abend lang ein paar Meter neben dem Tisch steht, dezent das Treiben der Essen-, Trinken, Reden- und Fummelnden beobachtet, um ihnen jeden Wunsch in Windeseile zu erfüllen, ja, noch ehe sie sich selbst über diesen Wunsch klar werden, geschweige denn ihn äußern können. Mit diesem maßgeschneiderten Service nämlich wurden der Hagen aus „Gladiator“ und seine attraktive Begleiterin beglückt. Wahrscheinlich hatte die Hotelleitung offizielle Order zur VIP-Behandlung erlassen, schließlich war Ralf Möller im Auftrag einer mächtigen Filmfirma unterwegs: Ich glaube, es war der Film „The Scorpion King“, für den er damals in deutschen Talkshows Werbung machte.
Ein junger Asiate (die Corporate identity des Etablissements ist dezidiert exotisch, so arbeiten eben nur Menschen asiatischer und ozeanischer Herkunft hier) war vom Oberkellner für die Spezialaufgabe, es Möller (Verzeihung!) schön mollig zu machen, abgestellt worden. Eingeschüchtert und servil und als sei das alles etwas Neu für ihn, stand er sich also neben Möllers Tisch die Beine in den Bauch. Und, mein Gott, was war das auch für ein Job, ich wollte nicht mit ihm tauschen! Von Moltke, dem ich livereportagenartig berichten musste, was sich in seinem toten Winkel ereignete, übrigens auch nicht.
Klar, der Kellner Felix Krull im Speisesaal des St. James et Albany zu Paris hätte aus so einer Situation alles raus geholt, was ihn beruflich und privat weiter brächte. Aber den meisten Menschen wäre es doch eher unangenehm, jemandem ernsthaft kammerdienen zu müssen. Was macht man die ganze Zeit mit den Händen; wo kuckt man hin; wann greift man ein ins Tischgeschehen? Ich konnte ihn gut verstehen, den Junglakaien da drüben, der sich sichtbar ähnliche Fragen stellte.
Ralf Möller ließ sich von der Anwesenheit des Kammerdieners nicht stören, vielleicht war er solchen Service gewöhnt. Der Schauspieler gestikulierte wild und lachte laut, und das hübsche junge Mädchen, das die ganze Zeit über – wirklich nonstop, so dass es für einen Außenstehenden keine einzige Flirtchance gegeben hätte – nur Augen für Ralfie hatte, an seinen Lippen hing, und was man noch alles so sagt, das hübsche junge Mädchen also fiel in das tiefe, brummende Lachen des Muskelmannes mit einem erheitert-erregten Kichern ein, dessen Frequenz sie mit exaltierten Griffen in ihre dunklen Locken zu modulieren schien.
Dass Möller generell keine Hemmungen hat, sich in der Öffentlichkeit an junge Frauen ran zu schmeißen, erkannte ich wenige Monate später, als er in der ARD-Samstagabendhorrorshow „Was passiert, wenn...?“ an einer jungen Stuntfrau rum fummelte, sie immer wieder in den Arm nahm, knuddelte und abknutschte. Das war nun doch ein bisschen eklig, das dürfen nur Frauen machen, dachte ich, also jemanden offensiv knuddeln. Aber das war eben ein paar Monate später, hier und jetzt im Trader Vic‘s machte Möller seine Casanova-Sache gut. Vielleicht musste ihm das Mädchen auch zuhören; vielleicht bezahlte er sie dafür, dass sie über seine Witze lachte; vielleicht hoffte sie auf eine kleine Rolle als Komparsin von Russell Crowes Komparsem.
Als unsere kleine Gruppe den Nachtclub verließ, stiegen vor uns zufälligerweise Ralf Möller und sein Mädchen die teppichbezogene, in die Hotellobby führende Treppe hinauf. Man konnte jetzt sehen, das das Mädchen eine Figur hatte, die man unbedingt sexy nennen musste. In diesem Moment zuckte sie und kreischte verhalten auf: Wahrscheinlich hatte Möller sie von hinten gezwickt, sie aber war sich sofort bewusst geworden, dass sie beobachtet wurden. Und zwar von uns. Die beiden verschwanden lachend Arm in Arm in Richtung Fahrstuhl. Es lag jetzt einfach zu nahe, sich auszumalen, wie der Muskelmann und das Mädchen in einer gut geheizten Suite des Bayerischen Hofes stundenlange Sexspiele spielten. „Dagegen hilft nur frische Luft“, meinte von Moltke und hatte mal wieder Recht. Wir holten also die Jacken und schritten durch die Drehtür hinaus in die kühle Münchner Nacht.
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