Das Thema Auto wird hier im Forum ja gerne mit Geringschätzung gestraft - zurecht, wenn man sich die bisherigen hilf- und kraftlosen Versuche einer Annäherung anschaut. Dabei ist zum Beispiel die Welt des Motorsports bunt und schillernd und ökologisch bedenklich, und das Verheizen von fossilen Brennstoffen sollten wir nicht grenzdebilen Schumi-Fanatikern überlassen. Eine Begebenheit mit einem prominenten Vertreter mag dies belegen.
Ein Winter in den 90ern. In meiner Eigenschaft als Redakteur eines TV-Automagazins fliege ich nach Gran Canaria, wo jedes Jahr kurz vor Weihnachten eine Art Klassentreffen der Rallye-Elite vergangener und aktueller Zeiten stattfindet. Beim sogenannten 'Race Of Champions' fahren große Namen aus Past und Present auf einem abgesperrten Rallye-Kurs in einer präparierten Kiesgrube, der mitten in einem hügeligen Gebiet an der Ostküste liegt. Just for fun, die Veranstaltung hat keinerlei sportlichen Wert. Sprunghügel, Wasserlöcher, 180-Grad-Kurven und andere Goodies sind fein säuberlich in die Landschaft modelliert und das spanische Publikum begleitet die dreitägige Veranstaltung von den Hängen der Grube herab mit fanatischer Begeisterung. Das Areal wird vermutlich den Rest des Jahres über für atomaren Sondermüll genutzt.
Wir haben den Auftrag, über dieses Ereignis zu berichten. Der Deutsche Walter Röhrl ist mit dabei, mehrmaliger Weltmeister und Ikone des Rallyesports. Ein sehr großer Bayer, eher still und einst Fahrer des Bischofs von, äh, ich glaube Würzburg. Seine aktive Zeit ist lange beendet, er fährt aber immer noch zum Spaß bei Veranstaltungen wie dieser. Das Fahrzeug seiner Wahl: Ein Audi Quattro Sport - Kenner wissen: Der mit dem kurzen Radstand. Ein Würfel auf Rädern, mit ebensolchen Fahreigenschaften.
Aus einer beiläufigen Bemerkung ergibt sich für mich die Gelegenheit, mit Röhrl eine Runde auf dem Kurs zu drehen, beifahrenderweise, versteht sich. Der Kameramann hat im Fahrzeug eine DV-Kamera am Überrollbügel befestigt und möchte nun die Beanspruchung testen. Herr Röhrl ist zunächst freundlich-distanziert, stimmt dann zu und bittet mich an Bord. Ich klettere über die Verstrebungen des Innenraum-Käfigs und werde schließlich in einer Sitzschale festgezurrt. Vor mir nacktes Blech und eine Batterie von Sicherungen. Der Meister sitzt entspannt am Volant, startet das Monster und wir setzen uns in Bewegung. Beim Anrollen zur Startlinie betreibe ich ein wenig Small Talk, was wegen der Schutzhelme allerdings klingt, als wäre Dolby-NR noch nicht erfunden. Ja, die Geschichte mit dem Bischof sei wahr, bestätigt mir Herr Röhrl freundlich und erzählt mir, dass er jedes Jahr gerne nach Gran Canaria komme, die Atmosphäre sei so angenehm und es mache ihm sehr viel Spaß, noch einmal im Renngerät aus alten Zeiten durchs Unterholz zu preschen. Dann verstummt er. Wir warten auf das Grün der Startampel.
Die nun folgende Schilderung verdanke ich der an Bord montierten Kamera, denn ich hatte während der Fahrt genug damit zu tun, mein Leben Revue passieren zu lassen und G-Kräfte vom mehrfachen der Erdanziehung hinderten mich an kontrollierten Kopfbewegungen.
Die Kameraeinstellung beinhaltet zur Linken meine Wenigkeit im Anschnitt, das Gesicht von Herrn Röhrl ist komplett sichtbar. Wir hören die letzten Satzfetzen der Prä-Start-Konversation, dann verwandeln sich die freundlichen Züge des Chauffeurs in eine Maske der Undurchdringlichkeit und der Konzentration. Dieser Mann hat eine Mission.
Die Ampel springt auf Grün.
Rechte Bildhälfte: Röhrl lenkt – ganz fokussiert auf rasiermesserscharfe Drifts (mit Allradantrieb!) und exakte Gangwechsel. Eckige, schnelle Bewegungen. Er ist ein PS-Roboter, eine äußerlich vollkommen regungslose Beschleunigungsmaschine. Das Bild vibriert, der Sound ein helles Kreischen, unterbrochen von dumpfen Ouummps und ratternden Bodenblechen: Kein Zweifel, wir fliegen auch gelegentlich. Ein neues Geräusch: Kieselsteine auf einer Steel Drum, der Schotter spritzt neben uns weg.
Linke Bildhälfte: Ich, hin- und hergeschleudert in der Sitzschale, denn obwohl die Gurte beim Anlegen sehr fest schienen, bleibt noch genug Spielraum für Bewegungen der Extremitäten. Mein Gesicht ist, äh, eher unkonzentriert und meine Augen buchstabieren ein Wort: ANGST. Der Rundkurs - ein vorbeihuschendes Etwas, wie im Drogenrausch, alles blurry. Ich sehe Kurven, deren Ausgang nicht zu erkennen ist und merke nur, dass Röhrl nie bremst. Ich habe keine Ahnung, wie er es macht, aber wir kommen immer dann um die Ecke, wenn ich schon denke, das war’s. Wieder ein Opfer beim Autorennen, Motorsport can be dangerous, so sagten es auch die aufmunternden Sätze auf dem Presseticket. Ich verfluche meine Berufswahl und nehme mir vor, meine Aufgabe als Beobachter demnächst wieder wörtlich zu nehmen.
Nach einer endlos erscheinenden Zeit naht die letzte Kurve, eine 90-Grad-Links, die wir bravourös durchqueren. Wie auf Schienen, aber mit Tempo 560. So fühle ich mich. Dann das Zieltor, Auslaufzone, Herr Röhrl lässt den Motor noch einmal aufheulen und wir rollen in das Fahrerlager.
Linke Bildhälfte: Ich bin buchstäblich unfähig, irgendetwas zu sagen. Meine Kollegen von der Television öffnen die Tür, ich höre Fragen , Stimmen, Kommentare und kann nicht reagieren. Ich habe dem Tod ins Auge gesehen, ich bin Colonel Kurtz und für die Kohlenstoffwelt momentan verloren. Irgendwie wringe ich mich aus dem Auto und suche mir eine Sitzgelegenheit.
Rechte Bildhälfte: Die letzte Kurve ist genommen, das Ziel durchquert. Aus dem wächsernen Speed-Mutanten neben mir wird ein Mensch, die Gesichtszüge werden weich. Der Helm verschwindet und ein Lächeln ist sichtbar. Kein Grinsen oder sonstiges Zähnezeigen, aber fein gravierte Linien um die Mundwinkel. Der infernalische Sound des Motors erstirbt und das Schlußbild zeigt ein leeres Cockpit und eine mit einem hellen Metall-meets-Plastik-Geräusch zuschlagende Tür.
Ich habe mich nicht von ihm verabschiedet.
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