Ich war schon eine Weile auf dem Münchner Flughafen herummäandert, in der Hoffnung ein legales Raucherplätzchen zu finden, was sich seit dem Umbau als relativ schwierig herausstellte, sodass ich mich an den einzigen Ort zurückzog, wo Aschenbecher auf den Tischen zu sehen waren – ein pseudoschicker Dallmayr-Imbiss. Dort trank ich den teuersten Multivitaminsaft meines Lebens (0,2 – 4 Euro) und füllte nebenbei Nasen- und Ohrentropfen in die dazugehörigen Öffnungen, um meinen äusserst vergrippten Nebenhöhlen den Flug zu erleichtern.
Währenddessen betrachtete ich die zahlreichen italienischen und spanischen Familien, die sich an den Schmuckständen rund um das Cafe verlustierten (Papi bekommt was von Camel, Mami kauft bei Cartier, Kind kriegt ne Swatch). Schliesslich steigerte sich mein Kaputtheitsgefuehl durch den Vergleich mit den topgestylten Italienerinnen und meiner kranken, rotnasisigen, fiebrigen Wenigkeit so sehr, dass ich mich hinter der Abendzeitung verbarg und versuchte, nicht wahrgenommen zu werden.
Ich war gerade in einen Artikel über einen Münchner Philosophieprofessor vertrieft, der sich in der Innenstadt aufgrund imperativen Harndrangs an einen Baum erleichtern musste und darauf hin als Kinderschänder festgenommen wurde, als Kati Witt in meiner Sichtweite erschien. Sie schob einen Trolley vor sich her auf dem ein Rollköfferchen sowie eine kleinkindgrosse, quadratische Handtasche abgelegt waren. Gekleidet im norwegischen Winterstil mit kurzem beigen Cordröckchen, beiger Weste, schwarzer Strumpfhose und Wildleder Moonboots. Sie warf einen prüfenden Blick auf die Theke, in der das Mittagessen ausgestellt war, und tat dann jenes, wovor am Flughafen fünfminütlich in Durchsagen gewarnt wird: Sie ließ ihr Gepäck unbeaufsichtigt stehen und verschwand in einem Duty Free Shop um die Ecke. Hätte ich nur einen Funken krimineller Energie gehabt, das wäre meine Chance gewesen! Doch bevor ich zueende gedacht hatte, welchen konkreten Nutzen mir jetzt Kati Witts Gepäck bringen würde, kehrte sie zurück mit einem Spiegel unterm Arm, parkte ihren Trolley an einem Tisch direkt vor meiner Nase und wollte zur Theke gehen. Die Thekenkraft machte sich (trotz SB!) gleichzeitig auf den Weg zu ihrem Tisch, sodass sie sich in der Mitte trafen. Kurzes Gespräch: „Guten Tag, Frau Witt“ – „Guten Tag, Frau, äh, Lysckiewicz (oder so ähnlich), das ist aber ein schöner Name, ist der tschechisch?“ – „Äh, nein polnisch“ – „Achso, ich hätte gerne ein Mittagessen, das da sieht aber lecker aus ...“
Schliesslich setzte Kati sich an den Tisch, ihr wurde ein Glas Wasser gebracht und sie blätterte im Spiegel. Der Tisch neben mir mit den ständig gackernden Businessfrauen war nun verstummt, und wir alle beobachteten Kati bei ihrer Lektüre.
Unterdessen nahm sie ihr Handy zur Hand und rief jemanden an. Im gleichen Moment klingelte mein Handy, was im ersten Moment in meinem grippegeschwängerten Hirn zu Verwirrung führte - auch wenn es extrem unwahrscheinlich erschien, hätte es vom Timing her hinhauen können, dass sie mich anrief. Aber es war nur mein Abholkommando aus Köln, das die Modalitäten klären wollte. Als ich auflegte, tat sie das Gleiche. War leider nix mit geheimen Informationen aus ihrem Privatleben.
Inzwischen war ihr ein Teller mit Nudeln und Gemüse kredenzt worden, in dem sie nun während des Lesens herumpickte und diesen Vorgang auch nur einmal unterbrach, um eine Seite aus dem Spiegel herauszureißen und in ihre Handtasche zu stecken. Eine Seite aus dem hinteren Drittel, auf der über Vermischtes berichtet wird, also möglicherweise über sie. Genauere Verifikation war unter Wahrung des höflichen Paparazzistatus nicht machbar.
Als sie mit dem Essen fertig war, stand auch schon die Bedienung neben ihr und fragte nach weiteren Wünschen. Kati wollte aber nur noch bezahlen, was sie dann auch tat. Beim Hinausgehen drehte sie sich noch einmal um, und wünschte dem gesamten Lokal einen guten Rutsch ins neue Jahr und viel Glück (es war der 30. Dezember) und verschwand Richtung Gate Berlin.
Auch ich musste mich aufgrund imperativen Harndrangs auf den Weg machen und als ich dann auf der Flughafentoilette saß und nochmal Nasentropfen nachlegte, fiel mir das DDR-Witzebuch, das ich geschenkt bekommen hatte, in meiner Tasche ein und bedauerte die verpasste Autogrammmöglichkeit.
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