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Thema: Vogler, Rüdiger

  1. #1
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    Vogler, Rüdiger

    Ich hatte mich am frühen Morgen mit meiner Liebsten zerstritten, war wutentbrannt aus dem Hotel geflohen und rannte schon mehrere Stunden durch die mir völlig unbekannten Strassen von Paris. Es war Frühling, angenehm warm. Wenn man an so einem Tag mit angeknackstem Gefühlsmuskel ziellos durch eine Weltstatdt irrt, so ergäbe das, sollte man meinen, eine Überfülle an literarisch-ambitionierten Sujets. Leider nein. Liebeskummer hat eben neben dem unerwünschten Schmerzgefühl einen stumpfen Autismus zur Folge, zumindest bei mir. Damit sei aber nicht gesagt, daß Autismus ein Zustand der Stumpfsinnigkeit sei, im Gegenteil, stumpfsinnig erscheinen mir diejenigen, die ihrem narzistischen Stupor mit diesem Begriff ein dramatisches Bild verleihen wollen. Ich widerrufe also "Autismus" energisch und sage:

    Ich lief blind wie ein gekränkter Maulwurf durch Paris, und blieb, wer weiß warum, vor der Fensterscheibe eines Cafés stehen, hinter der Rüdiger Vogler saß und in eine Zeitung blickte.

    Ich starrte angestrengt, der wohltuenden Ablenkung und der blödsinnigen Chimäre verfallen, daß dieses Gesicht, ein Konzentrat an Melancholie, erkannt werden müsse. Vogler nahm ungewöhnlich spät von mir Notiz, erschrak, und starrte mit einem Anflug von Widerwillen zurück. Daß Peinliche, Abstoßende war, daß mir einfach nicht einfallen wollte, wer dieser einsame Gast war. Ich blieb angewurzelt stehen und starrte und starrte schamlos weiter, während Voglers Erschrecken schon einem spürbar aggressiven Wunsch nach Beseitigung des Ganzen wich. Er gestikulierte mit der Zeitung, und fluchte wohl etwas, das ich natürlich nicht verstehen konnte. All das widersprach kraß dem sonst so symphatischen Minimalismus seines schauspielerischen Gestus, und ich begann mich schlecht zu fühlen. Immerhin konnte ich mich gerade noch davor bewahren, in das Cafe zu treten und mich diffus zu entschuldigen.

    Ich ging weiter und grübelte versessen vor mich hin, bis es mir endlich wieder einfiel: Rüdiger Vogler, Protagonist dieser Wim-Wenders-Filme, die ich aus an Marter grenzender Langerweile schon nach wenigen Minuten immer ausstellen musste. Ich wäre niemals an dieser Fensterscheibe hängengeblieben, wenn er nicht in einem dieser Filme zu Anfang eine Szene gehabt, in der er sich neben ein Auto gehockt und (real!) defäktiert hätte (ein, ich glaube, einzigartig provokantes Dokument der Filmgeschichte) (ich war jedenfalls schockiert und schaute mir den restlichen, langweiligen Film unglücklicherweise bis zum Ende an). Nun gut - hätte er nicht gekackt, wäre ihm und mir diese Begegnung erspart geblieben, dachte ich, natürlich nur, um mich damit zu rechtfertigen.

    Ich beeilte mich dann, Blumen zu kaufen und hoffte, daß ich meine Liebste im Hotel noch antreffen würde.

  2. #2
    Moderator Avatar von DonDahlmann
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    Hey - so geht das nicht. Nicht einfach mit einem Cliffhanger abzischen. Wir wollen Details, oder ein Happy End. Am besten beides.

    Allerdings finde ich die Assozistionskette Vogler -> auf den Boden fäkalieren -> Blumen für die Freundin kaufen schon ein bißchen komisch.

  3. #3
    Moderator Avatar von Ruebenkraut
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    Ich finds sogar ein bisschen sehr komisch. Van Herzen hatte einen guten Einstieg.

  4. #4
    Member Avatar von Mr. Knister
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    Es ist interessant, dass Sie sich am Anfang der Geschichte beschissen fühlen und dann einen sehen, der Erinnerungen an eine Kackgeschichte bei Ihnen weckt. Interessant, wirklich. Aber Vogler hat nicht nur in diesen Wim-Wenders-Filmen mitgespielt. Er hat auch in diesen Margarete-von-Trotta-Filmen mitgespielt und traurig geguckt. Ein Netter, der Vogler.

  5. #5
    Camembert Avatar von Edding Kaiser
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    Ich finde die Geschichte klasse.

  6. #6
    Moderater Avatar von Murmel
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    Schöne Geschichte. Aber Vogler kackt in "Im Lauf der Zeit" erst nach einer guten halben Stunde, zumindest kam es mir so lang vor. Ich habe den Film nicht bis zum Ende gesehen.

  7. #7
    Avatar von slowtiger
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    Vogler kenne ich nur aus diversen Fernsehserien - hat er nicht mehrfach in dem mitgemacht, was im SiebzigerjahreZDF als Sciencefiction durchging? Spielte er nicht sogar auch im legendären "Blauen Palais" mit?

    Zum angeknackstem Gefühlsmuskel eine Anmerkung: der kann höchstens gezerrt gewesen sein, angeknackst hingegen wäre der Liebesknochen. Danke.

  8. #8
    Avatar von Goodwill
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    Die Geschichte ist das krasse Gegenteil von kacke.

  9. #9
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    Da bin ich jetzt ein bißchen, ääh, sprachlos. Danke.

    Gerne hätte ich der Geschichte auch ein Happy End gegeben und ich schlich (mit meiner damaligen Liebsten) tatsächlich noch einmal in das besagte Cafe, aber Herr vogler war nicht zugegen.

    PS: Um Wenders nicht Unrecht zu tun, möchte ich noch erwähnen, daß die "Lisbon Story" ein, wie ich finde, äußerst gelungener Film ist, dank Vogler, der göttlichen Stimme von Madre Deus und dieser wundervollen Stadt. Da passt einfach alles.

  10. #10
    Moderator Avatar von honz
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    Wie in dieser Geschichte auch. Sehr gut. SAchön auch die Parallelien zu der O'Toole Gesachichte in London, die auch mit einer vergurkten Liebesbezeihung beginnt, die ich natürlich auch sehr loben muss, das ist so wie damals als Lenin und Tornatzky neu hereinkamen mit ihren beiden Petersburggeschichten und dann so eine Sehnsucht nach dem fahlen Osten durchs Forum schwebte. Down and Out in Paris and London fällt mir gerade ein, habe ich irgendwann mal jemandem empfohlen, der George Orwell nicht mochte, ich glaubne es war Miss Passig oder Mademoiselle Caldenberg.

    Wo ist eigentlich Tornatzky?

  11. #11
    Avatar von Aporie
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    Lob van Herzen. Auch für den Schluss.

  12. #12
    Moderatorin
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    Passt. Prima, van Herzen.

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