Ab und zu, wenn ich gerade nicht so genau weiß, wie ich mich ansonsten vor möglichst vielen Leuten zum Deppen machen könnte, gehe ich als Kandidat in eine TV-Quiz-Show. Letztes Jahr war ich in der „Quizshow“ im Vorabendprogramm von SAT1, damals noch moderiert von Jörg Pilawa.
„Warum zum Teufel...?!“ höre ich jetzt die geschätzte Leserschaft fragen – ach, ich weiß es nicht. Das Adrenalin? Der feste, immer wieder trügerische Glaube daran, das unnütze Halbwissen mal sinnvoll verwenden zu können? Die Kohle? Letztlich war’s wohl die Bemerkung meiner Freundin beim Fernsehen: „Halts Maul und bewirb dich. Klugscheißer.“
Naja: Hab ich gemacht, wurde gecastet, wurde eingeladen, kam nicht dran. Also: Ich saß als potenzieller Kandidat im Publikum, bis zum Ende. Das ist alles in allem kein so großer Spaß. Man wünscht sich eine kleine Adrenalin-Absaugpumpe.
Zehn Tage später rief Pearson Television, die Produktionsfirma der Quizshow, wieder an: Ob ich am nächsten Tag noch mal Zeit hätte. Hatte ich nicht. Drei Tage später wollte ich in den Urlaub und wusste nicht, wie ich bis dahin noch alles schaffen sollte. Ich sagte zu.
Auf der Fahrt nach Berlin lernte ich noch ein Filmlexikon auswendig und zwei sehr junge Redakteure von „Bravo Online“ kennen, die zur Berlinale fuhren und sich über meine mantraartig gemurmelten Hitchcock-Eckdaten ein bisschen wunderten. Ganz zu recht, muss ich sagen.
Ein paar Stunden später lernte ich viele interessante Dinge über Quizshows. Erste Lektion: Der Quizmaster sagt - „Mal sehen, wen der Zufallsgenerator als nächsten Kandidaten ausgewählt hat!“ Mit Zufall hat die Auswahl der Redaktion, die ein Stockwerk höher sitzt, nicht viel zu tun, eher mit folgenden Fragen: War vorher ein Mann oder eine Frau dran? War vorher ein Akademiker oder ein Busfahrer dran? Ist die Person Akademiker oder Busfahrer? Wie hoch war der Stammel- und Glotzfaktor des Kandidaten bei der Probe am Nachmittag?
Der letzte Punkt ist der wichtigste: Wenn man es schafft, die Damen und Herren an den Bildschirmen während des Probedurchgangs zu entertainen, ist man dran.
Nächste Lektion: Bei dieser Show kann man einen Wunsch äußern, der nach der ersten richtig beantworteten Frage erfüllt wird. Bezüglich des Wunsches kann man sich natürlich selbst was wünschen, formuliert wird der Wunsch allerdings von der Redaktion. Inklusive eines fiktiven Anschaffungs-Preises. Das kann etwas anstrengend sein, wenn die Redaktion sich was ausdenkt, mit dem man nicht viel anfangen kann, denn man muss ja mit Pilawa drüber reden. „Warum haben Sie sich ausgerechnet das gewünscht?“ „Phü, ehm, wollt ich immer schon.“
Der ganze Nachmittag geht mit Proben drauf, bei denen man schon viele Quizfragen beantworten muss. Hier zeigt sich bald, wo die Lücken sind. Um 17 Minuten vor sechs kommt Pilawa und setzt sich in den Kandidatenraum, spricht mit jedem. Er hat bei einem Umzug geholfen, seine Jeans ist dabei zerrissen, außerdem ist er krank und hat eine Nebenhöhlen-Spülung hinter sich, von der er angeekelt erzählt (jetzt hätte ich fast „Nebenhoden“ geschrieben). Ein paar Tage später gibt er auf, ein Ersatzmann moderiert.
Um acht Minuten vor sechs geht Pilawa zum Haarewaschen (nötig) und Umziehen. Das ist ein relativ souveränes Timing, denn die Sendung ist live und beginnt um sechs.
Die Sendung wird in zwei Blöcken ausgestrahlt. 20 Minuten nach dem Start des ersten Blocks bin ich dran. Als ich meinen Namen höre, blicke ich plötzlich auf sechs Meter hohe, brennende Buchstaben: „WAS ZUM HENKER MACHST DU HIER, SCHMOCK??“ Von denen hätte ich jetzt gern ein Foto.
Es läuft gut, die Fragen sind aber schwerer, als ich es mir vorgestellt habe. Die normalerweise kinderleichte Eingangsfrage ohne vorgegebene Antworten ist immerhin: „Wofür steht die Abkürzung FCKW?“ – na ja, weiß man noch.
Ich setze bei jeder Frage alles. In der Pause vor dem zweiten Block lerne ich die nächste Lektion: Bei Frage vier oder fünf ist ein Telefonkandidat im Spiel, man wird gefragt, welches Bundesland man aussucht, aber der Telefonkandidat ist dann schon eine halbe Stunde in der Leitung, deshalb kann man sich das Bundesland nicht aussuchen, schon gar nicht spontan, sondern bekommt es zwanzig Mal gesagt und muss es sich merken. „Warum ausgerechnet Niedersachsen?“ fragt Pilawa – ich habe keine Ahnung. Im Nachhinein hätte ich gern anarchisch „Bayern“ gesagt, während hinten schon Niedersachsen herangezoomt wird. Schade.
Kurz bevor es weitergeht, lerne ich die wichtigste Lektion. Eine Kandidatenbetreuerin nimmt mich zur Seite und gibt mit einen Tipp zur Spielstrategie: „Dir ist doch klar, dass wir wissen, in welchen Feldern du schwach bist? Also, ich würde an deiner Stelle vor den letzten beiden Fragen aussteigen, die werden zu schwer.“ Ich bin konsterniert: Heißt das, die Fragen werden situativ und individuell ausgesucht? Die junge Frau grinst.
Leicht entsetzt gehe ich in den zweiten Block. In den Werbepausen ist Pilawa überraschend witzig, macht ein bisschen auf prime-time-Rebell. Inzwischen habe ich 32.000 Mark gewonnen. Davon setze ich bei der nächsten Frage 28.000. „Das hatten wir hier lange nicht,“ sagt Pilawa.
Die Frage: In welcher Stadt haben die Tupac-Amaru-Rebellen 19soundso die japanische Botschaft besetzt? Acht Antwortmöglichkeiten.
Leicht, denke ich. Hätte ich zu Hause auf dem Sofa sofort rausgeblökt. Tupac Amaru, also Fujimori, der war Präsident in – nichts. Pilawa lächelt. Fujimori war Präsident in: nichts. Die Synapsen schalten einfach nicht durch. Die Linse der Handkamera nähert sich bis auf 30 Zentimeter dem Gesicht meiner Freundin. Pilawa lehnt sich zurück: „Keine Idee?“ Klar. Aber das Wort „Peru“ fällt mir nicht ein. Deshalb nehme ich nicht Lima, sondern Bogotá. „Schade,“ sagt Pilawa, „Dabei waren Sie so mutig.“ In der Sendung muss man sich mit ihm siezen. In diesem Moment hat er 39,6 Fieber, stellt sich nachher raus. Nachdem man sich wieder ins Publikum gesetzt hat, als Loser, bleibt die Kamera dran, bis man Enttäuschung zeigt. Das mache ich ganz professionell.
Lesezeichen