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Thema: Marthaler, Christoph - oder Die Reise ins Unbewußte

  1. #1
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    Marthaler, Christoph - oder Die Reise ins Unbewußte

    Salzburg. Ich gehe so gerne ins Theater. Als junger Theaterfan bin ich einige Jahre hintereinander jeden Sommer nach Salzburg gepilgert. Zu den Festspielen. Zwischen den Vorstellungen hat man natürlich viel Zeit und streunt herum. Und als junger Mensch hat man ja auch nicht so viel Geld für Essen und Kaffee hier Kaffee da. Und man kann ja auch nicht ständig auf den Obersalzberg rauf fahren. Da muß man sich schon was einfallen lassen. Als ich einmal Richtung Hotel wandelte, dachte ich mir plötzlich, wie aufregend es sein könnte, einmal im Leben bei einer Probe zuzuschauen. Der Festivalzeitung hatte ich bereits aufgeregt entnommen, daß Christoph Marthaler augenblicklich „Zur schönen Aussicht“ probierte, was meine Abenteuerlust nur noch steigerte. Da ich mich außerdem ganz in der Nähe des Landestheaters befand, stieg mein Blutdruck ins Unermeßliche. Zudem war es Dienstags gegen 11 Uhr vormittags und es so mehr als wahrscheinlich, daß gerade probiert wurde.

    Ich ging zwei mal um das Theater herum, bis ich mir Mut faßte und in den Bühneneingang schlüpfte. Was sollte mir schon passieren!? Ich setzte alles auf eine Karte. Dem Probenplan entnahm ich ganz professionell, was heute anstand: Bühnenprobe mit Sepp Bierbichler. Unglaublich. Einer meiner absoluten Lieblingsschauspieler in unmittelbarer Nähe. Würde ich jetzt aus vollem Hals „Bierbichler, Bierbichler“ schreien, schoß es mir schlagartig durch den Kopf, so wäre es nicht unwahrscheinlich, daß der Star meine Rufe verdutzt in der Garderobe vernehmen könnte. Verrückt. –Am Bühnenpförtner vorbeizukommen, war überhaupt kein Problem. Ich tat einfach so, als wollte ich super wichtig ins Haus, stürmte gespielt geschäftig auf die Glastür zu und warf dem Pförtner beim Gehen, als Gegenangriff sozusagen, ein flüchtig-nettes „Morgen!“ zu. Bei der Zahl an Gästen zu Festpielzeiten wunderte der Pförtner sich über gar nichts und öffnete mir selbstverständlich die Tür.

    Selber quasi zum Schauspieler geworden, hatte ich den Pförtner überlistet. Er hatte gedrückt! Ich war im Theater. Es dauerte nicht lange, bis ich mich auf der Seitenbühne wiederfand und schlenderte auf einmal selbstverständlich, wenngleich von Überraschung darüber leicht benebelt, ins Zuschauerhaus. Techniker regelten gerade etwas auf der Bühne, und Marthaler plauderte mit ein paar Leuten an der Rampe. Ich wollte nun die Chance beim Schopfe packen und den Meister selbst höflich um Erlaubnis bitten, der Probe beiwohnen zu dürfen. Weil es ja nun auch gar kein Zurück mehr gab, sprach ich Marthaler einfach von der Seite an. Der Regisseur war zuerst etwas überrascht, wandte sich mir aber schließlich sehr nett zu und meinte im herzlichsten Plauderton, grundsätzlich sei es gar kein Problem, mal zuzuschauen, überhaupt nicht, aber gerade heute: sei es blöd. Da wäre eine Einzelprobe mit dem Bierbichler. Und Schauspieler seien ja sehr sensible Wesen. Die liefen manchmal auf sehr dünnem Eis. Und da müßte einfach Konzentration herrschen. Das verstünde ich natürlich, sagte ich. Kein Problem. Wirklich. Kein Problem.

    Während er so nett auf mich einplauderte, sah ich aus den Augenwinkeln, wie Anna Viebrock, Marthalers Bühnenbildnerin, mißtrauisch Adlerkreise um uns zog. Plötzlich stach sie in unser Geplapper hinein, unterbrach uns jäh und fragte mich energisch: „Wer sind sie denn überhaupt?“ - Diese Frage machte mich ein wenig benommen, weil ich sie in der akuten Streßsituation gar nicht auf meinen Namen bezog, sondern völlig existentiell nahm. „Wer sind sie denn überhaupt?“ So schnell wußte ich gar keine Antwort darauf. Wer bin ich denn überhaupt? Wer bin ich denn überhaupt? Diesen Satz noch eine Weile murmelnd, lief ich des Mittags die blei-grüne Salzach entlang.

  2. #2
    Camembert Avatar von Edding Kaiser
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    Ach, herrlich, Kinder!

  3. #3
    der hausm Avatar von anko
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    dieser text ist insoferne eine absolutes unikum, als er zuerst vorgelesen wurde (und zwar am deutschen theater in berlin) und erst danach hier gepostet.

    eine flasche fernet, wer das toppt!

    der hausm, der die technische abwicklung des obigen postings übernommen hat und daher für kurz in die rolle des martin p schlüpfte.

    martin p ist der regisseur, der die 4 abende der paparazzi-lesungen in berlin inszeniert.

    so, habe ich alles? ich denke ...

  4. #4
    der hausm Avatar von anko
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    ich weiss nicht, ob das irgendwen interessiert, aber mein obiges posting hat die nummer

    120000

    tja, das bedeutet doch was. nur was?

  5. #5
    Camembert Avatar von Edding Kaiser
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    Dass alles gut ist, wird und bleibt.

  6. #6
    Avatar von Aporie
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    Wunderschöner Schluss. Und Tobler weiß jetzt, wer er ist.
    Andererseits: Wenn man Theater spielt, ist man auch nicht ich.

  7. #7
    Camembert Avatar von Edding Kaiser
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    Bin ich froh, dass ich nicht spiele, Aporie.

  8. #8
    Avatar von Aporie
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    Außer mit dem Leben, frei nach Hanswasheiri.

  9. #9
    Remember
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    Gab es nicht irgendwelche Störungen im Foum vor kurzem? Schon komplett vergessen angesichts dieses Beitrags. War für ein Text, ach ach, bin entzückt.

  10. #10
    Camembert Avatar von Edding Kaiser
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    Einziger Schönheitsfehler dieser Geschichte ist und bleibt, dass Bierbichler in "Zur schönen Aussicht" weder mitgeprobt noch mitgespielt hat. Seltsam.

  11. #11
    Avatar von Aporie
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    Re: Marthaler, Christoph - oder Die Reise ins Unbewußte

    Originally posted by martin p
    Da wäre eine Einzelprobe mit dem Bierbichler. Und Schauspieler seien ja sehr sensible Wesen. Die liefen manchmal auf sehr dünnem Eis.
    Entweder läuft jetzt Tobler auf sehr dünnem Eis oder er kommt gerade aus der Theaterkantine.

  12. #12
    Camembert Avatar von Edding Kaiser
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    Aporie, ich schliesse daraus, dass Sie "Zur schönen Aussicht" nicht gesehen haben, gell? Auf dünnem Eis tanzt hier Herr p.

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