Es muss Anfang 1941 gewesen sein. Mein Großvater hatte aus Deutschland emigrieren müssen und hatte sich zusammen mit meiner Großmutter in Südfrankreich niedergelassen. Sie bekamen dort schnell hintereinander drei Kinder (unter anderem meine Mutter) und hatten aufgrund einiger Erbschaften ein gesichertes Auskommen.
Nachdem die Deutschen in Frankreich einmarschiert waren, machte die Gestapo Jagd auf meinen Großvater und mithilfe einiger Kollaborateure nahmen sie ihn in einer Nacht und Nebel Aktion gefangen.
Niemand wußte, wo er hingekommen war. Also machte sich meine Großmutter (schweizer Staatsbürgerin) auf den Weg nach Paris, um dort Auskunft über den Verbleib meines Großvaters zu bekommen. Zusammen mit drei kleinen Kindern und einem resoluten belgischen Kindermädchen.
In Paris angekommen ging sie zur Militärkommandantur und schwor dem nicht sehr entgegenkommenden Beamten, dass sie nicht eher vom Fleck weichen würde, als bis sie erführe, wo ihr Mann sei.
So verharrte sie mit ihren Kindern und dem Kindermädchen bis zum Abend vor der Kommandantur. Gegen Abend wurde es sehr kalt und begann zu schneien. Der Portier eines daneben gelegenen großen Hotels hatte Mitleid und lud alle ein, sich im Speisesaal des prächtigen Hotels aufzuwärmen.
An einem benachbarten Tisch, abgetrennt durch einige Paravents, saßen Offiziere der deutschen Wehrmacht und tafelten. Unter ihnen Von Stülpnagel, der Oberbefehlshaber in Paris und Ernst Jünger, sein Stellvertreter.
Sie wurden immer lauter. lachten und machten dreckige Witze. Das kleinste der Kinder, meine Tante, war gerade eingeschlafen und meine Großmutter stand auf, trat zu den Offizieren und rief mit voller Stimme (auf französisch): "Es ist schon Schande genug ihre Sprache in dieser schönen Stadt zu hören, aber wenn sie jetzt auch noch mein Baby aufwecken, dann sind sie keine Menschen, sondern Hunde und ich werde sie nicht anders behandeln, als ich meine Hunde behandel."
Die Drohung war zwar nicht sehr konkret, aber sie wirkte und die Offiziere schwiegen beschämt. (Meine Großmutte. sie ruhe in Frieden, war eine ausnehmend schöne und starke Frau.)
Einige Minuten später trat Ernst Jünger zu ihr an den Tisch, stellte sich vor und lud sie sehr ruhig ein, auf seine Kosten Essen für sich und die Kinder zu bestellen.
Wieder stand meine Großmutter auf und sagte: "Aus ihrer Hand, Monsieur Juenger, würde ich nicht einmal ein Glas Wasser annehmen. Sie haben zwar meinen Mann verschleppt, aber meinen Stolz, den werden sie nie bekommen."
Jünger hat diese Begegnung in leicht interpretierter Version in seinen Pariser Tagebüchern erwähnt.
Ich hoffe, er hat sich in den folgenden 59 Jahren noch oft an meine Großmutter erinnert.
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