Vor einigen Jahren verbrachte ich in einem verregneten Spätsommer eine Woche in einem leider recht zugigen Reetdachaus in Ostholstein, nahe der Ostsee.
Es war gleichermaßen dem mäßigen Wetter einer leichten Erkältung und einem schweren Kartoffelessen vom Vortag geschuldet, dass es mir an diesem Tag unmöglich war, zu baden. Da ich aber mit meiner damaligen Freundin Anna, die eine entschiedene Vorliebe dafür hatte, Tagespläne zu erstellen und dann auch einzuhalten, verabredet hatte, jenen Vormittag am Strand zu verbringen, verbrachten wir diesen Vormittag trotzdem am Strand.
Während Anna ernst und elegant durchs Wasser glitt, begnügte ich mich damit, mit hochgerollten Hosenbeinen am Wasser entlang zu spazieren und von Zeit zu Zeit der konzentriert Badenden zuzugrüßen.
Das tat ich auch, als sich mir drei Männer in Freizeitkleidung näherten. Einen von ihnen erkannte ich sofort an seinem knittrigen Temperenzlergesicht - den früheren US-Präsidenten Jimmy Carter.
Höflich fragte mich einer der Begleiter, ob ich den Weg zur Autobahn in Richtung Hamburg beschreiben könnte. Während ich das tat, beobachtete Carter seinen Mitarbeiter kritisch und forderte diesen anschließend auf zu rekapitulieren, was diesem aber mißlang. Daraufhin zog Carter einen Zettel aus seiner Tasche, zeichnete, eine von mir mitgeführte Zeitung als Unterlage nutzend, den Weg genau nach und übergab mir anschließend den Zettel zur Kontrolle.
Auf meine Versicherung, dass mit dieser Skizze nichts schiefgehen könne, folgte ein kurzes, belangloses Gespräch. In dessen Verlauf sagte Carter unter anderem, etwas Nettes über Hamburg, als er erfuhr, dass ich dort lebte. Ansonsten krankte die Unterhaltung entscheidend daran, dass ich ernsthafte Probleme hatte mit seinem für meine Begriffe eigenwillig leiernden amerikanisch.
Irgendwann erklärte dann der bis dahin schweigsame Dritte, wie sehr er das Fahren auf deutschen Autobahnen schätzen würde, eine Bemerkung zu der ich nun gar nichts beizutragen hatte, auch weil ich zu diesem Zeitpunkt nicht einmal einen Führerschein besaß. Und da gleichzeitig aus der Ferne Anna mit einem um die Schultern gelegten Handtuch auf uns zukam, beschloß Carter die Unterhaltung mit der Bemerkung, dass mich jetzt wohl jemand anders brauchen würde.
Ach, ja: Sekunden nachdem wir uns freundlich verabschiedet hatten musste ich laut niesen, worauf Carter sich noch mal umdrehte und mir diskret ein Papiertaschentuch zusteckte.
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