Ich gebe zu, der Protagonist dieser Geschichte ist nicht gerade ein Knüller, aber an Frische wird meine Erzählung wohl schwerlich zu überbieten sein:
Vor nicht ganz drei Stunden war ich unterwegs, Erledigungen machen. Die Stadt in der ich wohne beherbergt in ihrem Herzen den geisteswissenschaftlichen Komplex einer Universität, auf die sie sich, glaube ich, ziemlich was einbildet. Gegenüber dem Kollegiengebäude in dem Juristen, Volkswirtschaftler und vergleichbares untergebracht sind, befindet sich, durch eine Straße getrennt, das Stadttheater, direkt daneben die Universitätsbibliothek, aus der ich gerade gekommen war. Vor dem Kollegiengebäude nun liegt ein grasbewachsener Fleck, dem man vor wenigen Jahren in einem Anfall akuter Erinnerung den schönen und zutreffenden Namen 'Platz der alten Synagoge' gab und der heute Treffpunkt aller Punker und Punkershunde ist.
Dies ist nun der Ort des Geschehens. Hier traf ich gerade: DIETER HILDEBRANDT, den großen alten Mann des deutschen Kabarett. Ich musste natürlich erst zwei Mal gucken, aber er wars, kein Zweifel. Wer nun wissen möchte, wie D. H. guckt, dem sage ich: genauso wie der Leser beim Lesen der Gebäudebeschreibungen. Er stand einfach da und guckte erst auf das Theater, dann auf die Bibliothek, dann auf das Unigebäude, schließlich wieder aufs Theater. Ich war, selbstverständlich in gebührlichem Abstand, stehen geblieben und beobachtete ihn beim Gucken. Ich muss dazu sagen, es war ein sehr schöner sonniger Nachmittag, so dass es nichts Ehrenrühriges hatte, einfach auf dem Gehweg stehen zu bleiben und ein bisschen umherzugucken. Was nun seine äußere Erscheinung anbelangt, so kann ich jeden beruhigen, der sich um ihn je Sorgen machte: er sah in Echt viel gesünder aus als auf dem Bildschirm, was aber vielleicht auch daran lag, dass er weder angestrengt sprach noch angestrengt zuhörte, sondern einfach nur verweilte. Zudem habe ich sein Gesicht eigentlich nur im Profil gesehen, vielleicht ist die Vorderseite fürs Fernsehn reserviert. Er ist keineswegs klein aber auch nicht besonders groß. Seine Hautfarbe, die ja immer ein wenig ins auberginegraue spielt, schien mir heute gesund und frisch, ja der dunkle Teint passte geradezu ausnehmend gut zum herbstlich sonnigen Tag. In der Hand hielt er, was sonst, eine zusammengefaltete Zeitung, ich konnte nur leider nicht erkennen welche. Ich sah lediglich, dass beim Druck mindestens vier Farben verwendet worden waren: schwarz, rot, blau und grün. Plötzlich bellte ein Hund vom Platz der alten Synagoge herüber, ein kleines Gerangel unter Punkern entstand, volumenprozentiges Geblöke drang in die herbstlich-intellektuelle Idylle. Ein wenig angewidert blickte D. H. in Richtung der Ruhestörer. Ich musste weitergehen, sonst wäre ich aufgefallen, was sich für einen höflichen Beobachter wohl kaum geziemt. Ob D. H. immer noch dort steht weiß ich nicht. Einerseits denke ich nein, andererseits kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wo er hingegangen sein könnte. Er passte dort irgendwie perfekt hin.
Am nächsten Kiosk schaute ich alle vorhandenen Zeitungen durch, konnte aber nicht jene Farbkombination entdecken, die die Zeitung in Hildebrandts Hand gehabt hatte.
(Beitrag wurde von LAX am 30.10.2001 um 20:13 Uhr bearbeitet.)
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