Elsa Soares
Ich traf Elsa Soares 1996 bei einer Poolparty in Rio de Janeiro. Ich war gerade eben aus Berlin angekommen, hatte 17 Stunden reisen hinter mir und den Winter in den Knochen. Ich war das erste Mal in Südamerika. Ich wohnte bei Ruca, einer Exfrau des gefeierten Samba-Sängers Martinho da Vila, dem Sohn und der Tochter aus jener Ehe und deren Ehegatten. Beide Mädchen waren hoch schwanger.
Nach meiner Ankunft erhielt ich ein Begrüßungsbier und durfte unter dem Ventilator in der Lounge Platz nehmen. Dort radebrechte ich einige Stunden mit diversen Familienmitgliedern, hoffte vergeblich, dass man mir eine Dusche und ein Bett zeigt und kämpfte gegen den Schlaf an. Schließlich kam Tonico, der Sohn des Hauses, die Treppe heruntergeschlurft. Er würdigte mich keines Blickes, setzte sich an seine Congas und spielte sehr sehr laut. Danach benahm sich der Mittzwanziger für eine Weile ausgiebig wie ein verzogenes Kleinkind, mich weiterhin konsequent ignorierend. Endlich kam er auf mich zu und forderte mich auf, ihn nach draußen zu begleiten. Dort begrüßte er mich aufs herzlichste, kaufte mir viel wässriges Bier und verkündete feierlich: 'Jorge hat dich zu uns geschickt. Jorges Freunde sind auch meine Freunde. Rio ist eine gefährliche Stadt. Wenn dir hier irgendwas passiert oder jemand dir dumm kommt, dann sag es mir, ich werde das dann regeln.'
Etwas später, die Erschöpfung hatte bereits meine Wahrnehmung getrübt, brachen Ruca, ihr aktueller Mann und ich zu besagter Party auf. Dort redeten zahlreiche Menschen gleichzeitig mit mir, knuddelten mir im Gesicht herum und nannten mich 'Branquinha' ö Weißchen.
Elsa Soares, einst eine Schönheit, einst verheiratet mit der Fußball-Legende Mané Garrincha und einst eine Größe der brasilianischen Musik kam ab und an würdevoll lächelnd vorbeibalanciert und sagte: 'Lasst doch die Kleine, sie ist ja ganz müde und versteht nur die Hälfte.' Beides wahr gesprochen.
Ich schlief in einer Hängematte ein, und als ich mitten in der Nacht aufwachte, spielten ein paar Gitarreiros melancholische Bossa Nova Weisen. Elsa Soares sang ab und an einen ihrer Schlager, jedes Mal lies sie sich lange dazu bitten. Wenn sie sang, summten einige gedankenverloren mit, andere weinten.
Irgendwann am nächsten Tag plätscherte die Party endlich aus und wir fuhren zurück. Im Haus stritt sich Tonico mit seiner schwangeren Frau. Sie warf Schuhe nach ihm, er lachte.
Nächsten Tages musste ich gleich früh raus, um mein Praktikum am Goethe-Institut anzutreten. Alles schlief noch. In der Küche hatte der bissige Hund den Müll gründlich auf dem Boden verteilt.
Günter Uecker
Das Goethe-Institut und das Museum für Moderne Kunst von Rio de Janeiro hatten die deutschen Künstler Günther Uecker und Gerd Rohling zu einer Doppelausstellung eingeladen. Ich durfte die beiden sehr sympathischen Menschen betreuen und den ganzen Tag im Museum herumschleichen. Einen Tag lang fuhr ich mit Herrn Uecker und dem Fahrer des Goethe-Instituts durch die Stadt zum Nagel-Shopping. Günther Uecker ('Nagel-Uecker') wollte Nägel kaufen in Rio. So fuhren wir von einem Metallwaren- und Werkzeuggeschäft zum nächsten, Herr Uecker begutachtete die Nägel, zwischendrin tranken wir Kaffee.
Bei der Ausstellungseröffnung fand sich die germanophile Haute Volée von Rio ein. Auch der arrogante Schönling, der zu dieser Zeit Kulturattaché im deutschen Generalkonsulat war. Er hatte sich schon seine kleine Anekdote aus der schillernden Diplomatenwelt für den Plausch mit Günther Uecker zurechtgelegt, aber seine Rechnung ohne den Wirt gemacht. Mit einem Sektglas in der Hand klopfte er Herrn Uecker jovial auf die Schulter und plauderte ihn an: 'Der Botschafter von Moskau hat mir ja mal diese nette Anekdote erzählt, wie jemand bei ihrer Ausstellung dort die Nägel geklaut hat, weil Nägel gerade rar waren in Russland.' Herr Uecker guckte wo anders hin und bellte: 'Propagandakacke.'
Martinho da Vila
Einmal gab Tonicos Papa, der gefeierte Martinho da Vila, ein Konzert in Rio. Er hatte gerade einen landesweiten Hit mit dem Titel 'Mulheres'. Der Text handelte davon, wie Martinho da Vila schon so ziemlich alle Frauen der Welt 'hatte' und nun aber endlich die, die ihn glücklich macht. Tonico spielte Percussion. Nach dem Konzert bestand er darauf, dass ich seinen Papa begrüße. Massen von Menschen standen in einer langen gewundenen Schlange an der Garderobe an. Darin thronte in einem Lehnstuhl als Inkarnation von King Kacke der Meister, schüttelte Hände und segnete CD Hüllen. Hinter ihm stand, locker 40 Jahre jünger als er, seine x-te Frau, die, die ihn glücklich machte. Sie befasste sich damit, glamourös zu lächeln und die Wartenden zu dirigieren.
Nur wenige Monate später sollte Martinho von einem abgesagten Konzert als ungebetener Gast im eigenen Haus in eine koksselige Party platzen, die seine jugendliche Frau und deren jugendlicher Liebhaber dort veranstalteten.
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