Wie Robert Schindel einmal meinen Vater anrief und ich Robert Menasse einmal half, den Koffer zuzumachen
Ich stand kurz vor dem Abschluß meines Studiums und hatte mich entschlossen, mich in meiner anstehenden Magisterarbeit den Romanen von Robert Menasse und Robert Schindel zu widmen. Viel hatte ich nicht gelernt beim Studieren; immerhin war mir aber das Bewußtsein für das vermitteln worden, was 'wissenschaftliches Arbeiten' genannt wird. In diesem konkreten Fall bedeutete das, daß ich mich einer großen Zahl offener Fragen ausgesetzt sah, die mir jedoch nicht die Sekundärliteratur beantworten konnte, denn die gab es nur spärlich zu den beiden Autoren. Also schrieb ich zwei Briefe, einen an Schindel, einen an Menasse.
Als erstes antwortete der letzgenannte. Er war zu dieser Zeit gerade in New York, würde aber bald wieder in Wien sein, schrieb er mir damals. Monate später sollte ich ihn dann kennenlernen. In Berlin hielt man ein Hauptseminar über österreichische Gegenwartsliteratur ab, und zum Abschluß lud man Menasse ein. Ich reiste dorthin. Im Innenhof der TU las er aus seinen Romanen und beantwortete anschließend Fragen, die sich in nichts von den Fragen unterschieden, die immer auf Dichterlesungen gestellt werden. Mittlerweile wußte ich schon gar nicht mehr, was ich ihn hatte eigentlich hatte fragen wollen. Aber da war Robert Menasse, ich war da, also ging ich zu ihm und wollte mich ihm vorstellen.
Menasse, der ungeniert rauchte, obwohl es verboten war, versuchte gerade, die Bücher in seinen Koffer zurückzustopfen. Der Koffer ging nicht mehr zu. Da stand er, der Dichter, und bemühte sich, die 'Seligen Zeiten' zu verstauen. Kurz entschlossen half ich ihm dabei, setzte mich auf den Koffer und schließlich war der Koffer zu. Der Anfang war gemacht. Als ich sagte, wer ich sei und daß ich ihm geschrieben hätte, sagte Menasse nur: 'Ah, Sie san des.' Später wollte ich ihn dann in Wien besuchen, aber ich habe es nie getan.
Robert Menasse ist sehr groß, jedenfalls größer, als man denkt, wenn man ihn nur von Photos kennt. Er raucht Gauloises Blondes legeres und scheint eine Schwäche für schwarze Polo-Hemden zu haben.
Robert Schindel habe ich bis heute nicht kennengelernt. Er hat meinen Brief auch nie beantwortet. Aber nicht etwa deswegen, weil er unhöflich wäre, sondern weil er offenbar lieber telephoniert als schreibt. Kurz nachdem ich ihm geschrieben hatte, rief mich mein Vater an. Da hätte irgendjemand aus Wien bei ihm angerufen und gefragt, ob er, mein Vater, mich kenne. Anstatt meinen Brief zu beantworten, hatte Schindel eine Reihe meiner Verwandten angerufen, in der Hoffnung, mich so ausfindig zu machen und war schließlich an meinen Vater geraten. Sein Glück, daß mein Nachname sehr selten ist.
Am Abend habe ich dann mit ihm telephoniert. Es war an dem Tag, als Viktor Klima gerade Bundeskanzler geworden war. Trotzdem war Schindel gut gelaunt. Er hat eine warme, sehr tiefe Stimme. Er lud mich nach Wien ein, aber auch ihn habe ich nie besucht. Ich hätte einfach nicht gewußt, was ich ihn fragen sollte.
Meine Magisterarbeit habe ich schließlich über etwas völlig anderes geschrieben.
(Beitrag wurde von leosinger am 28.10.2001 um 17:27 Uhr bearbeitet.)
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