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Thema: Jürgens, Udo (ist kurzsichtig)

  1. #61
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    Na da gehe ich doch gleich mal tauchen!
    Der Dank geht zurück, mir ist soeben erstmals aufgefallen, daß Herr Jürgens und ich die selben Initialen teilen! Hätte er nur die auf die Tour-Jacke gestickt, hätte ich den Edding gar nicht benötigt!

  2. #62
    Moderator Avatar von honz
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  3. #63
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    Ein verstaubtes Universum voller Wunder, in dem neben so vielem anderen sowohl Physik als auch Smudo vorkommt. Wie in folgender Geschichte:

    Schielmann ist ein Physiker. Ich muß dies wissen, denn ich studierte vier Jahre lang mit ihm. Andererseits sieht man es sofort, wenn man ihn einmal am Kaffeeautomaten erlebt: Er wirkt dabei hochkonzentriert, als würde er einen Reaktor bedienen, gleichzeitig aber leicht nervös, weil alle Schalter unglücklicherweise gleich aussehen. Man hat unwillkürlich das Gefühl, daß seine zitternden Finger über unser aller Schicksal entscheiden und beginnt still zu beten. Ein Physiker eben. Schielmann kann an keinem Schalter vorbeigehen, ohne darüber zu sprechen, was man mit diesem Gerät alles anstellen könnte. Dabei ist es egal, ob der Schalter zu einer Glühbirne oder einem Festkörperlaser gehört - Verhältnismäßigkeit liegt ihm nicht. Nach langen Zweifeln folgt dann immer leichtfertig: "Ach, erstmal einschalten." So war sein Weg von Rauchschwaden gesäumt. Ein weiterer Standardsatz von ihm beginnt so: "Was würde wohl passieren, wenn man..." - zum Beispiel die Fühler des Oszillographen an die 220V-Steckdose anschließt. Anderes Beispiel: einen halben Liter konzentrierte Salzsäure mit einem halben Liter konzentriertem Ammoniak vermengt. Zum Glück bin ich immer dabei.

    Schielmann ist auch der einzige Mensch, den ich jemals Gänseklein essen sah, ein Gericht, das aussieht wie ein explodierter Hund. Alles muß er ausprobieren. Nichts hat er unter Kontrolle. Man muß zudem einräumen, daß er hochgradig verwirrt ist. Wenn man ihn fragt, wie alt er ist, dann überlegt er einige Minuten, bevor er seinen Personalausweis hervorholt. Manchmal spricht er nebenher davon, daß die Klos merkwürdigerweise alphabetisch durchsortiert wären. Das würde daraus folgen, so sagt er, daß er manchmal Klos benutzen würde, auf denen H steht, manchmal aber auch D. Es kann passieren, daß er im nächsten Satz anfängt von Bogolubov-Termen zu sprechen. Es ist wirklich nicht einfach mit ihm. Erschwerend kommt hinzu, daß er aussieht wie Mitte vierzig, obwohl er nicht älter ist als ich. Er sieht daher praktisch schon jetzt aus wie ein verwirrter Professor. So kommt er problemlos in jeden Hochsicherheitstrakt. Ich folge ihm überallhin, um das Schlimmste zu verhindern.

    Eines Tages war ich mit ihm an den Niagarafällen. Aber darüber zu sprechen fällt mir schwer. Stattdessen möchte ich davon berichten, was in Hamburg geschah. Die Anfahrt mit ihm war anstrengend. Zuerst brachte er den Fahrplancomputer im ICE zum Absturz. Dann wurde er beinahe vom Bus überrollt. Alltag mit Schielmann ist eine endlose Folge von Pointen, eine vollkommen unlustige Sitcom, bei der ich im Abstand von drei Sekunden in Panik gerate, während er sich zum selben Zeitpunkt ausdauernd am Kopf kratzt. Noch schwieriger gestaltete sich der Nachmittag, denn wir besuchten einen sehr sehr großen Teilchenbeschleuniger. Weil es dort unglaublich viele Tasten und Computer gab, geriet er in einen geradezu ekstatischen Zustand. Er tat immer so, als würde er genau aufpassen, was ihm erklärt wurde, dagegen hörte er nur bei der ersten Hälfte des Satzes hin. Die zweite Hälfte konnte er ja leicht im Selbstversuch herausfinden. Zum Glück schaffte ich es, seine Experimentierlust schnell vom Beschleuniger auf den Getränkeautomaten umzuleiten. Es war alles viel zu aufregend für ihn.

    Wir waren alle froh, als es vorbei war, und erhofften uns einen entspannten Abend. Zum ersten Mal würde ich mit Schielmann in einem Raum, in einem Doppelstockbett, übernachten. Allerdings war von Anfang an klar, daß er oben schlafen würde, was zwar für ihn gefährlicher, aber für mich sicherer war. Man weiß bei ihm nie. Mein Plan war, mit ihm den ganzen Abend durch Hamburg zu laufen, solange, bis er todmüde und somit berechenbar sein würde. Mein Fehler war, dabei auf die Reeperbahn zu geraten.

    Ich möchte nochmals darauf hinweisen, daß Schielmann zwanzig Jahre älter aussieht, als er ist. Wenn man zudem berücksichtigt, daß ich zehn Jahre jünger aussehe, als ich bin, wird klar, daß ich neben ihm völlig abgemeldet war. Wir müssen wie Vater und minderjähriger Sohn ausgesehen haben. Das gesamte Nachtleben jedenfalls stürzte sich auf Schielmann, und mich damit in tiefe Depression. Denn Schielmann wurde nicht müde, sondern immer wacher. Mit jedem Türsteher, der ihn einlud, mit jeder Frau, die ihn ansprach, wuchs seine Aufmerksamkeit, er zappelte von einer Seite des Gehsteigs auf die andere, wedelte mit den Armen, sah mich verzweifelt an, und ungeheuerliche Gedanken liefen in seinem Kopf ab, das konnte man deutlich erkennen. Sein Mund stand die ganze Zeit offen, saugend und sabbernd taumelte er über die Straße. Ich hatte alle Hände voll zu tun. Plötzlich ein enthemmter Schrei, unverständliches Gebrüll, wildes Gestikulieren (er zeigte gleichzeitig überall hin, bevor er sich auf eine Richtung einigte), dann folgte eine Art epileptischer Anfall, wobei er immer wieder die Wörter "vier" und "fantastisch" hervorstieß, allerdings vermengt mit Begriffen wie "Hasylab", "Gigaelektronenvolt", "Donnerbusen". Schweiß stand auf seiner Stirn. Nachdem ich ihn einigermaßen beruhigt hatte, blickte ich kurz in die angedeutete Richtung und sah gerade noch einen Mann mit hellbrauner Lederjacke verschwinden, der von hinten tatsächlich genauso aussah wie Smudo. Und weil der Anfall von Schielmann überaus überzeugend wirkte, mußte es praktisch Smudo gewesen sein. Der letzte Satz, den Schielmann auf der Reeperbahn hervorbrachte, war: "Wo zur Hölle bin ich hier?"

    Nachdem mein Vorhaben so drastisch danebenging, brachte ich Schielmann zu den Landungsbrücken. Wasser wirkt ja oft besänftigend, besonders im Dunkeln. Dort saßen wir dann noch eine Weile, und tatsächlich verging die Nacht ohne weitere Zwischenfälle.

  4. #64
    Avatar von Klingeltonk
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    Das ist eine schöne Geschichte, und es paßt ja, daß Smudo bei Udo landet.

  5. #65
    Abebe Lowumbo Avatar von joq
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    Das ist genau genommen sogar eine völlig geile Geschichte. Danke.
    More gin in teacups

  6. #66
    MaybachMember Avatar von Herr Uffelmann
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    Gorßartig Aleks, ich habe gerade sehr gelacht. Sind sie für Schielmann sowas wie die Sharona des Adrian Monk aus der TV-Serie "Monk"? Dann sollten sie mit Schliemann-Geschichten in Serie gehen. Also Niagarafälle klingt schon sehr spannend.....

  7. #67
    Embedded Senator Avatar von DerCaptain
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    Ja, darüber würde ich auch gerne mehr erfahren. Aber, bei "Schielmann kann an keinem Schalter vorbeigehen, ohne darüber zu sprechen, was man mit diesem Gerät alles anstellen könnte." ist mir die kleine Geschichte von Clifford Stoll in "Kuckucksei" eingefallen. Er beschreibt den Rechnerraum seiner Uni, wo ein uralter Rechner steht, im Gehäuse ein nachträglich reingedengelter Schalter. Der Schalter hat die zwei Positionen "Magic" und "More Magic" und steht selbstverständlich auf "More Magic". Zu Beginn seines Studiums entfernte Stoll die Abdeckung des Rechnergehäuses und entdeckte, daß sinnloserweise nur ein Kabel zu besagtem Schalter führte. Dermaßen abgesichert legte er den Schalter um auf "Magic". Der Rechner stürzte ab.

    Es war wohl sowas wie eine PDP-10, das Hochfahren dauerte ewig, natürlich legte er vor dem Neustart den Hebel wieder um auf "More Magic".

    Jahre später besuchte er den Rechnerraum wieder, die Kiste brummte da immer noch und er erzählte irgendeinem Tutor die Geschichte. Der glaubte kein Wort, gemeinsam untersuchten sie erneut den ominösen Schalter; absurderweise war das einzelne Kabel auch noch mit dem Gehäuse verbunden, völliger Quatsch also.

    Sie legten den Schalter um, der Rechner verreckte wieder.

    Eigentlich unnötig zu erwähnen, daß mein erster PC von mir genau so einen Schalter verpasst bekam.

    Digital Immigrant

  8. #68
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    Jürgens, Udo (verhält sich im Aufzug stets höflich)

    Am vergangenen Wochenende war ich beruflich in Berlin und hielt mich im Hotel Adlon auf, in Begleitung eines Mitreisenden. Kurz vor unserer Abreise, genauer: um kurz vor 12 am Sonntagmittag, wollten wir gern noch ein letztes Mal im Hotelpool schwimmen gehen. Wir zogen also nur Bademäntel über die jeweiligen Schwimmklamotten und betraten den Lift.

    Was wir nicht bedachten, war, dass man eine gültige Zimmer-Magnetkarte benötigt, um ins Pool-Untergeschoss zu kommen, und dass um Punkt 12 Schluss mit gültig war. Kein Schwimmen also und, was ja auch nicht unwichtig ist, kein Zugang mehr ins Zimmer. Kein Umziehen, keine Koffer, kein Geld.

    Ich möchte hier beschämt erwähnen, dass ich mir a) noch nicht die Zähne geputzt hatte, b) aufgrund einer Allergie unschöne Pusteln an den Beinen aufwies und c) mir mein Bademantel sehr schlecht stand. Meine Körperfülle spielt dabei eine nicht unwesentliche Rolle, doch darum geht es hier nicht.

    Im Erdgeschoss bat ich also meinen schlanken, wohlriechenden Mitreisenden, an der Rezeption das Problem zu lösen, indem er wenigstens noch ein Stündchen Gültigkeit für unsere Zimmerkarte erwirken möge. Er erklärte sich bereit und verließ mutig den Lift, ich solle auf ihn warten.

    Zwei ältere und elegante Damen stiegen zu. Ich teilte ihnen mit, dass ich auf jemanden wartete und dies gern auch weiterhin tun würde, doch die Damen erkannten mein Problem nicht - es war ja auch nicht Grund genug, den Aufzug zu blockieren - und drückten beherzt auf den Knopf des obersten Stockwerkes, wo sie genauso beherzt den Aufzug verließen.

    Das war auch der Moment, als Udo Jürgens einstieg. Die Damen schienen ihn nicht bemerkt zu haben oder waren seinen Anblick gewöhnt. Er trug einen schwarzen Anzug und sagte freundlich "Grüß Gott." Ich wäre sehr gern im Erdboden versunken, doch mangels Fluchtmöglichkeit drückte ich mich einfach in die Ecke und versuchte, nicht auszuatmen. Ich konnte erspähen, dass Herr Jürgens eine wohl nicht unbeträchtliche Rechnung seines Zimmerservice in der Hand hielt, auf der sehr viele Posten aufgeführt waren. Ansonsten verhielt er sich wie jeder normale Mensch in einem normalen Anzug und Aufzug, abgesehen von seiner beträchtlichen Contenance in Anbetracht der Gegenwart eines ungepflegten Menschen im zu kleinen Bademantel. Im Erdgeschoss verließ er den Aufzug und sagte höflich "Auf Wiedersehen." Ich glaube, Udo Jürgens muss ein Gentleman sein.

    Oder aber, wie ich hier lesen durfte, er ist zum großen Glück für mich kurzsichtig genug.

  9. #69
    sqm
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    #16

    gegen inge.


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