Einst - zwar bin ich alt genug, um 'unlängst' zu benutzen, auch wenn es Jahre zurück meint, aber hier sind inzwischen wahre Erdzeitalter vergangen, deshalb also: einst - (ein weiterer Strich zum Ausbalancieren. Nicht nötig? Es fällt auch nichts runter? Na dann.) einstmalen also, es war in den Anfängen der Achtziger, die Welt so wenig in Ordnung wie sonst auch, und noch dazu trug ich lange Haare sowie eine Latzhose (letztere nur zeitweilig), und ich hatte eine Freundin in München. Die sah ein wenig aus wie Jamie Lee Curtis, im Gesicht wenigstens, das ich liebte, am Körper nicht so sehr, denn da war sie kleiner und dicker als Jamie, um die es im übrigen hier gar nicht gehen soll, sie dient nur dem Vergleich, um zu zeigen, daß meine Freundin einen dickeren Hintern hatte, wegen dem ich sie ebenfalls liebte. Worauf wollt ich jetzt hinaus?
Achja, nach München, wie schon angedeutet, und zwar, wegen des in meinem damaligen Alter üblichen Geldmangels, per Anhalter. Damals gab es das noch: junge Menschen, deren hoffnungsvoll ausgetreckte Arme nicht als Gesinnungskennzeichen, sondern Beförderungsbedarfskennzeichnung verstanden wurden. Ich, mit nun ein wenig Erfahrung in derlei Dingen, unterließ es vorrausschauend, mich in Osnabrück an die Abfahrt Nahne zu stellen mit einem Schild 'M' in der Hand, hoffnungslos nach Süden weisend im Angesicht landkreisgebundener Bauernsöhne, sondern ließ mich, da er sich glücklicherweise dazu bereit fand, von meinem Vater noch in der Morgendämmerung eine Autobahn weiter fahren, auf die Raststätte Tecklenburg, da ich plante, am Nummernschild erkennbare tankende Bayern mit großen Augen und kleinem Gepäck anzubetteln.
Die Rechnung ging auf. Noch waren kaum meines Vaters Rücklichter im der Erzählung zuliebe erfundenen Morgennebel verschwunden, breitete sich schon ein großer Mercedes zwischen den Zapfsäulen aus, dem das ersehnte 'M' im Nummernschild prangte. Ich zog also mein vakuumgepreßtes Täschchen hinter mir her und sprach, einen günstigen Moment abwartend, den Fahrer an. Zuerst zierte er sich, gab schon an, direkt nach München zu fahren. Dann aber, nachdem er bezahlt hatte, willigte er ein, ich warf mein Mindergepäck auf den Rücksitz und mich selbst vorsichtig auf den Ledersitz vorn.
Wir fuhren los, und wie sich die Landschaft bläulich erhellte, so entspann sich auch unser Gespräch. Ich weiß jetzt längst nicht mehr die Einzelheiten, es war ja auch eine lange Fahrt, aber sicherlich stellten wir uns auch vor, und ich wußte gleich, woher ich seinen Namen - Karel Svoboda - kannte: aus dem Fernsehen! Und zwar, deutlich lesbar, aus den häufig entzifferten Abspännen von Biene Maja, Pinocchio, Calimero und anderen Trickfilmserien japanischer Produktion, deren Titelmusiken sämtliche der freundliche, mit angenehmem tschechischen Akzent sprechende Herr Svoboda komponiert hatte.
Nun war ich zu jener Zeit selber Trickfilmer und Komponist, wenn auch Gehaltsklassen entfernt von der neben mir kuppelnd und schaltend sitzenden Berühmtheit. Ob er wirkich gekuppelt hat, weiß ich übrigens nicht mehr, kann sein, daß dieses nicht vonnöten war, es war ein Schlachtschiff von einem Auto, breit wie nur je ein Mähdrescher, und so schnell wie ruhig. Jedenfalls entspann sich ein munteres Fachsimpeln, dieweil ich, schweifenden Augs, eine Bedienungsanleitung entdeckte nicht des Autos, sondern eines damaligen feuchten Traums von mir, eines Fairlight CMI, Eingeweihten bekannt als der erste kommerziell erfolgreiche Sampler, unerschwinglich teuer zumal für mich, der ich nicht einmal eine Bahnfahrkarte zahlen konnte. Mein unauffälliges Sabbern war ihm wohl nicht entgangen, leise lächelnd verriet er mir, daß er ein Exemplar des wertvollen Wunderdings im Kofferraum bewahrte, und bei der nächsten Rast ließ er mich einen Blick auf das sorgsam in Wolldecken gehüllte Gerät werfen.
Ansonsten erzählte er einiges aus seiner Heimat, aus Böhmen, woselbst er einen Hof besaß, mitsamt Viehzeug und Pferden und Kutsche, die er mir allesamt beschrieb. Die Fahrt ging unterhaltsam schnell vorbei, und endlich waren wir durch München hindurch in Pullach, was sein Ziel war. Dort entließ er mich hinaus in die immer noch helle Außenwelt und fuhr davon.
Was weiter geschah, ist hier nicht von Belang: unmöglich, abends in Bayern noch weiterzukommen (nach Wolfratshausen wollte ich), so legte ich mich denn in meinem Schlafsack halb in den Straßengraben, irgendwo zwischen BND und Linde, und wurde frühmorgens von einer freundlichen Schnecke auf meiner Wange geweckt. Die dortigen Bauern waren schon alle unterwegs, nun machte es keine Mühe, weiterzukommen, da es aber immer noch viel zu früh für einen geregelten Besuch war, legte ich mich kurzerhand im Vorgarten der Mutter meiner Freundin noch einmal zu einem Schläfchen.
So. Ich merke, daß auch ich mich habe anstecken lassen von diesem hier vorherrschenden Stil. Nun, nach zwei Tagen mit leichtem Fieber sollte auch das überstanden sein. Nächstes Mal schreib ich wieder normal.
Lesezeichen