Thomas Kießling ist, sagen wir, C-Prominenz. Die Drei Jungen Tenöre tingeln derweil über Provinzbühnen, geben ihr Bestes zu unvermeidbaren Fußballvereinjubiläumsfeiern, singen standhaft bei Stadtteilidentifikationsmaßnahmen, dabei macht Thomas das Fass ö meist in der Mitte, auch dann, wenn sie aus videoästhetischen Gründen durch toskanische Heckenlandschaften trollen, tollen und singen sollen. Thomas Kießling ist, sagen wir, nach gängigen gesellschaftlichen Konventionen eine C-Schönheit, aber er sieht darüber hinweg.
Die Versuchsanordnung: Die genauen Hintergründe können nicht mehr rekonstruiert werden. Liefen in etwa so ab: Eine junge Dame gab sich geschlagen und lud Herrn Kießling zum Abendessen ein. Da sie aber nicht sonderlich kochen konnte und zudem als perfekte Gastgeberin nicht den ganzen Abend in der Küche verbringen wollte, bat sie eine Freundin aus der Eifel dazu, doch an diesem das Mahl zu bereiten. Diese setzte jedoch zwei Dinge durch. Erstens: Gekocht wird bodenständig deutsch. Zweitens: Die da wird auch eingeladen (und das war ich), denn sie habe keine Lust neben dem kochenden Teil des Abends auch noch den anstandswauwauigen Part zu übernehmen. So kam auch ich auf die Gästeliste ö ohne nähere Angabe von Details zum Warum, Wieso, Weshalb ö und versprach, Kartoffelknödel zum Diner beizutragen. Die Köchin aus der Eifel hatte sich auf Schweinsbraten mit Blaukraut festgelegt. Das Dessert würde sich spontan ergeben, dem Verlauf des Abends folgend. Menüfolge und Gästeliste wurden Herrn Kießling mitgeteilt.
Es war ein ungemütlicher Abend. Es regnete in Strömen als ich die Pfannipackungsanleitung zum formvollendeten Kartoffelkloß rezitierte und das Glas mit dem Blaukraut nicht aufging. Die Herzensdame hat es sich am Esstisch bequem gemacht. Sturmböen wehten durch die Straßen. Das Schwein bruzzelte im Bräter, die Kartoffelkloßpampe quoll vor sich hin und versteifte dabei. Zehn Minuten über die Zeit. Es klingelte. Herr Kießling tropfnass im Türrahmen. Die Herzensdame wird ungemütlich. Köchin und Gästin öffnen mit Geschrei das Blaukrautglas. Blaukraut schwappt durch die Küche, Gejohle über den Triumph, Geschrei über die Niederlage im verschütteten Blaukraut, Gelächter über die gewürzte Zubereitung. Derweil Willkommensszenen in der Manier schüchterner Pennäler im Hausflur. Kießling hat den Wein mitgebracht.
Riesling. Von der Saar. Nun, ja. Es mundet. Köchin, Herzensdame und Gästin verschmähen unter fadenscheinigen Ausreden das Blaukraut. Kießling schlägt beherzt zu. ³Noch ein Scheibchen von dem leckeren Braten?ã, säuselt die Köchin. Das Synchronschwingen von Messer und Gabel sind Kießling fremd, wildfremd. Dann der eigentliche Anlass des Diners von Heldentenor, Herzensdame und zwei unbekannten Größen: Der Sangeskünstler beginnt zu buhlen ö mit dem Charme der Sparkassenwerbung. Nein, es ist vielmehr eine Balz: Mein Haus, mein Auto, mein Bruder, meine Tante, mein Auftrittsanzug, mein Topflappen. Wir puschen die Herzensdame, denn wir wollen unbedingt zu der ein oder anderen Veranstaltung eingeladen werden (Lüge: Tanten, Omas und Opas wollen dahin, da ist mir kein Opfer zu groß), dazu solle sie gefälligst ihre Opfer bringen, denn schließlich gingen Braten, Kraut und Kartoffel ö einschließlich des unweigerlich folgenden Abwaschs ö auf unsere Schürze. Die Herzensdame ziert sich ohne Ende. Bei ³Ich habe einen Privatjetã versucht die Köchin in die Rolle der Herzensdame zu schlüpfen und rutscht aus. Volle Lotte. Schuld daran ist das Dessert. Chips. Kießling doziert über Stilvolle Diners bei Grafens und im Backstagebereichâ. Die Köchin wird fies. Der Abend kippt. Kießling will mit der Herzensdame durchbrennen, doch der steht der Sinn nicht nach Ausgehen, es regne und sei schon dunkel. Ungeschickt: Der Köchin rutschen Bratenplatte und Blautkrautschüssel aus. Das Ensemble landet Kießling im Schoß. Der Abend ist zu Ende.
Der Heldentenor und die Herzensdame haben sich nochmals verabredet - ohne je wieder miteinander zum Diner zu schreiten, scheiterte die Sache dennoch in ihren Anfängen. Die Köchin behauptete anschließend, gar nicht Kochen zu können, und verließ die Stadt ohne eine Adresse zu hinterlassen. Ich wurde am selben Abend noch Weltmeisterin im Abwasch und habe fortan bei winzigsten Laut der Drei Jungen Tenöre den Geschmack von Blaukraut auf der Zunge.
(Beitrag wurde von Paula Lavalle am 08.11.2001 um 16:07 Uhr bearbeitet.)
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