Steht man einmal am Bahnhof von Bern, der immernoch politischen Hauptstadt der Schweiz, dann will man dort wahrscheinlich weg. Nicht nur, weil das Gebäude eine architektonische Katastrophe ist. Zum Beispiel möchte man vom Bahnhof weg und unter die Bahnbrücke, wo sich die regionale Hochburg der sogenannten Alternativ-Szene befindet, wie mein Freund Ringo, der arme Hippie-Sohn, kürzlich.
Am schnellsten und gleichzeitig ökologisch, tut man dies mit dem Fahrrad, idealerweise nicht auf der Strasse, sondern indem man das Trottoir benützt. Denn nur so gesellt sich der Reiz der Illegalität zu dem der Geschwindigkeit hinzu, gepaart mit dem Kick des den-Leuten-im-Weg-im-letzten-Moment-ausweichen.
Hierbei muss man berücksichtigen, dass sich die Trottoirs in der Berner Innenstadt unter den sogenannten Lauben befinden, d.h. die Fassaden der unteren Stockwerke der Gebäude sind zurückversetzt und die Häuserfront wird durch aneinandergereihte Torbögen getragen, welche die shoppenden Fussgänger und einzelnen brachialen Velofahrer von der Strasse trennt.
Natürlich war er schon auch zusätzlich durch die Tatsache motiviert, dass sich auf dem ersten Kilometer der Rennstrecke das Fünf-Sterne-Hotel „Bernerhof“ befindet. Die Limousinen und Taxis halten auf dem Strassenabschnitt vor dem Hause, während die Pagen das Gepäck aus dem Kofferraum übers Trottoir, durch die Laube, ins Hotel tragen. Drum herum stehen die privaten Sicherheitsleute mit ihren Knöpfen im Ohr.
Doch als Ringo an jenem frühen Sommerabend, sowieso in Eile, weil er mit seinem Drachen verabredet war, der ihm den Kopf abbeissen würde, wäre er zu spät und erst noch weil sie heute ohne ihn in die Ferien fahren und er sie für Monate zum letzten mal sehen würde, sich dem Hotel näherte, hatte es mehr Leute davor als üblich. Rasch merkte er, dass diese vor allem blaue Freunde waren, wie man die Polizei hier in Bern ihrer hübschen Montur wegen nennt. Schon war er an der Konditorei, nun auch an der Bank vorbeigerast, das Trottoir prekär bevölkert. Gut, so kann man besser beschleunigen und das Gefälle ausnutzen.
Da erscheint auch schon ein Uniformierter vor dem Rad, aber in rot, mit grünen Schulterklappen und weisser Hose, Ringo drückt leicht auf die rechte Seite der Lenkstange, der Page bleibt stock-steif stehen und wird links umfahren. Doch sogleich muss er den Lenker wieder zurückdrehen, um nicht einen der Robocops über den Haufen zu fahren.
Doch was hat sein Auge in dieser halben Sekunde, in der sein Blick kurz links zur Laube raus auf die Strasse flog, gesehen? Inmitten von etwa 20 Polizisten in Grenadiersausführung, die einen Grossteil der Strasse geräumt haben, stehen drei schwarze Mercedes mit verdunkelten Scheiben. Die Türe des mittleren Wagens ist geöffnet und dem Bodyguard im dunklen Anzug und mit Sonnenbrille, der gerade ausgestiegen ist, folgt: Mullah Omar. Auch er in dunklem Anzug, ohne Sonnenbrille, dafür aber mit einer braun-grün marmorierten Krawatte und selbverständlich mit original Taliban™-Kopftuch.
Die Schlängellinie vollendet, kam Ringo durch einen letzten Torbogen zu den Lauben raus. Freihändig radelnd zog er sich das Feuerzeug aus der linken, eine Zigarette aus der rechten Brusttasche und zündete sie sich an. Nun konnte er die Zielgerade dem Bollwerk entlang geniessen.
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