Als ich noch klein und doof war, ging mein Grossvater in Rente. Er hatte im Vorstand irgendeines Lebensmittelkonzerns gesessen, war Mitglied in einigen seltsamen und dubiosen studentenbündischen Logen und hatte nach dem Krieg (seine Nazivergangenheit vertuschend) eine steile CDU-Karriere gemacht. Kurzum, er war ein hohes Tier und bei seiner Verabschiedung war allerlei Polit- und Managementprominenz vertreten. Meine übrige Familie war aus Gründen, die ich vergessen habe, verhindert und meine Oma schnappte mich als den 'offiziellen Vertreter der Familie' und schleifte mich zum Empfang nach Bonn. Dort war es stinkend öde. Ich war überraschenderweise der einzige Sechsjährige unter lauter Wirtschaftswunderleichen, alle rochen nach Sagrotan und 4711 und, naja, es war nicht wirklich was für Kinder.
ABER: es rannten Pinguine rum, die Häppchen und Frikadellen verteilten. Ich war als Sechsjähriger abhängig von Frikadellen. Also rannte ich im Slalom durch das muffige Beinspalier der greisen Damen und Herren, zupfte Pinguine am Rockzipfel und liess mir totes Tier reichen. Dann begannen die Reden und es wurde noch öder. Allerhand Laudatoren lieferten Sermon über meinen Opa ab und ich musste mit Oma in der ersten Reihe sitzen und stillhalten. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Es war öde, es war ungerecht, dass ich hier sitzen musste und ich hatte einen tierischen Jieper auf Frikadellen. In einem ersten Akt von Rebellion und Auflehnung riss ich mich von Oma los und rannte durch die Stuhlreihen zum Buffet. Dort liess ich mir meine Droge reichen und stolzierte befriedigt zurück. Ich hockte mich neben Oma und biss in die ichweissnichtwievielte Frikadelle, wärend sie (die Oma) mich mit strafenden Blicken bedachte. Mir wars egal, ich fühlte mich grossartig und dachte 'Punkrock!' (hätte ich jedenfalls gedacht, wenn ich älter gewesen wäre). Und dann kam das Problem. Erstmals an diesem Tag war Senf dabeigewesen. Löwensenf. Der ist scharf. Zu scharf für einen Sechsjährigen. Ich prustete. Mit liefen Tränen. Ich wurde knallrot. Ich schimpfte. Bis heute wird intrafamiliär erzählt, dass ich weithin hörbar 'So eine Kacke!' rief. Der Redner am Podium, höchstens drei Meter von mir entfernt, unterbrach darob seinen Vortrag und sagte ins Mikrophon: 'Junger Mann, nicht weinen, in fünf Minuten bin ich mit der Kacke fertig.' Der das sprach war der damalige Deutsche Bundespräsident Carl Karstens oder von mir aus auch Karl Carstens.
Jedesmal, wenn ich heute Senf esse, muss ich an ihn denken.
(Beitrag wurde von Polykrates am 13.05.2001 um 00:39 Uhr bearbeitet.)
Lesezeichen