L e n i R i e f e n s t a h l
Es muss im Winter 1997 oder 98 gewesen sein, als ich mit einem Freund, der passionierter Amateurboxer ist, die Ausstellungseröffnung von Leni Riefenstahl in Potsdam besuchte. Frau Riefenstahl war auch dort, umringt von jungen Mode- und Designstudenten, die sich natürlich bemühten, keine unhöflichen Fragen zu der Vergangenheit der grossen Künstlerin zu stellen. Man hatte dort einen Brief von Jacques Cocteau an Leni ausgestellt. Natürlich war auch alles andere zu sehen: die Filme 'Triumpf des Willens', 'Das blaue Licht' und das Olympia-Video von Rammstein. Nach drei Stunden leerte sich allmählich die Ausstellung - bis auf die verstreuten Gestalten, die selbstvergessen an den zur Verfügung gestellten türkisfarbenen iMacs sassen und sich die Bilder der Ausstellung dort ansahen, die ohnehin wenige Meter weiter hinter ihnen zu sehen waren.
Der Amateurboxer und ich wollten auch gerade aufbrechen, als die Künstlerin unvermittelt zu uns trat und mich ansprach: 'Entschuldigen Sie, aber Sie erinnern mich so sehr an einen vertrauten Freund aus den vierziger Jahren. Sind Sie vielleicht der Sohn von Dr. Reichstein aus München-Haar?'
Tatsächlich kannte ich einen R. Reichstein, der seine Tagebücher in einem Berliner Kleinverlag veröffentlicht und der Sohn eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie ist, welcher wiederum aber bereits schon in den späten 70er Jahren verstorben ist. Frau Riefenstahl war sehr berührt von dieser Tatsache und begann nur Positves über diesen Mann zu berichten. Um mehr über diese Beziehung zu erfahren, erfand ich einige Begegnungen mit dem alten Dr. Reichstein, lobte seine Intelligenz, seine Belesenheit, seinen Charme, seine Weltoffenheit und eine beinahe magische Intuition, welche die Seele seines Gegenübers augenblicklich und vollkommen erschloss. Ganz zu schweigen von seiner erotischen Ausstrahlung, die sicher nicht nur auf das andere Geschlecht wirkte.
Meine albernen Erzählungen hatten Erfolg: Frau Riefenstahl erzählte jetzt Genaueres. 'Wissen Sie, auch in meinem Leben gab es schwere Zeiten. 1945/46 war ich eine geächtete Person, mit der niemand mehr etwas zu tun haben wollte. Damals war ich für ein Jahr in der Psychiatrie Haar. Mein Leben hatte keine Aussicht mehr: kein Vermögen, keine Aufträge, keinen Partner. Erst Dr. Reichstein gab mir in unseren Gesprächen wieder Sinn. Er suggerierte mir, dass ich mein zukünftiges Leben ethnischen Minderheiten widmen müsse. Des Nachts halluzinierte ich von athletischen, nackten Kriegern, deren Körper sich ekstatisch unter der heissen Sonne Afrikas bewegten. Letztendlich haben mich diese Körper geheilt.'
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