Vor etwa 8 Jahren muß es gewesen sein, nachts nach Mitternacht (3x 'nach'!) in einem bekannten süddeutschen Mittelgebirge. Ich fuhr auf einer ländlichen Bundesstraße, also einer nur einspurigen Straße (oder zweispurig, ich weiß nicht wie man das nennt, also insgesamt zwei Spuren für Hin- und Gegenverkehr), die ein Oberzentrum mit einem Unterzentrum über 30 km verband, dazwischen lag ein Autobahnzubringer. Es gab, wie üblich, fast keinen Verkehr.
Beim Einfahren in eine langgezogene Kurve sah ich dann eine Person auf der falschen, nämlich meiner Seite am Straßenrand laufen. Es sei erwähnt, daß dies im ländlichen Raum keine Seltenheit war, der ÖPNV war schlicht eine Farce und Fahrrad wurde in Süddeutschland nur in Städten und in Tübingen gefahren. Man sah nachts also am Straßenrand Besoffene jedweder Couleur laufen, vornehmlich Jugendliche ohne Führerschein.
Natürlich hielt ich an und bat den jungen Mann einzusteigen. Er hatte längere, strohige Haare und ein eingefallenes Gesicht, unrasiert. Er sprach Deutsch mit Akzent und was er mir da erzählte, verschlug mir die Sprache: Er sei von der Kelly Family, die in erwähntem Oberzentrum am nächsten Tag ein Konzert und eine Heilsshow (das sagte er wirklich genau so) zum Besten geben würden. Sie wären mit dem Tourbus schon heute, am Vorabend angereist und hätten kurz nach Verlassen der Autobahn gehalten und ihn beim Pinkeln vergessen! Ich vermute, er wurde absichtlich stehenlassen, die üblichen Rock & Roll-Scherze halt, man liest ja so einiges...
Er sei dann zu Fuß dem Bus hintergelaufen, einfach losgelaufen. Mich überraschte diese Planlosigkeit, der wäre auch 10 km weit in den Wald gelaufen, völlig gleichgültig. Ich glaubte ihm jedenfalls, denn erstens gab es damals noch keinen richtigen Mobilfunk, nur die C-Netz-Autotelefone, die waren zwar auch außerhalb des Wagens zu benutzen, allerdings um den Preis, daß man dann eine schwere Kiste an einem Schultergurt mitschleppen mußte. Auch gab es noch nicht die heute an Bundesstraßen stehenden, von der Björn-Steiger-Stiftung finanzierten Notrufsäulen. Er konnte also nirgendwo anrufen.
Auf der Fahrt ins Oberzentrum kam leider keine rechte Stimmung auf, nur dünnes Geplänkel. In der Stadt telefonierte er, wir bekamen das Hotel, in dem die Band logierte heraus und ich brachte ihn dorthin. Er dankte mir und die Managerin oder wer das war dankte mir auch, aber das war es dann auch, kein Scheck, keine kostenlose Nacht in dem edlen Quartier, nichts.
Im nachhinein habe ich mich schon ziemlich geärgert: Warum konnte das nicht wenigstens
einer von Oasis sein, wenn man schon mal einen Promi trifft. Kelly Family war einfach uncool, nicht mal das, die wurden in meinen Kreisen einfach ignoriert. Darum hat mich auch kein Freund jemals großartig für meine Heldentat bewundert. Naja.
Empfehlungen für die schönsten Strecken auf süddeutschen Bundestraßen auf Anfrage.
Noch eine nette Story: Mein Bruder wurde 1987 vom greisen Diktator einer südamerikanischen Bananenrepublik auf den Arm genommen und getätschelt und kam so schon mit 3 Jahren zu seinem ersten Fernsehauftritt.
Wein ist das, was man trinkt, wenn das Bier alle ist - in diesem Sinne danke ich Max Goldt.