Ich war 16, war gerade vom niederträchtigen Land in die durch und durch gemeine Stadt übersiedelt, und mein pubertierender Geist befand sich nach der Lektüre von Thomas Bernhards 'Frost' im Zustand fortgeschrtittener Zerrüttung. Maxstirnerianisch, aber auch ein wenig suicidgeil schlich ich 'Einziger' also an einem kalten Winternachmittag in Richtung Audio-Center am Wr. Judenplatz. Düstere Platten kaufen. (Van der Graaf Generator!)
Am Graben - wo sonst? - geschah es dann: Fünf Meter vor mir entdeckte ich plötzlich meinen Meister. Trotz Rückenansicht war ich mir sicher, daß nur ER es sein konnte: derber Lodenmantel , darüber rustikaler Filzhut, darunter rurale Berghammerln. So traute sich nicht einmal die Wiener
Bandlkramer-Bourgeoisie auf die Straße! Naturgemäß vergaß ich augenblicklich mein ursprüngliches Ziel und folgte nun Thomas Bernhard in gebührendem Abstand: Zwei Menschenhasser auf dem Weg in den Bräunerhof - wohin sonst?
Das wär«s eigentlich schon, doch es gibt noch eine armselige Pointe: Der große Naturverächter trat am Kohlmarkt tatsächlich in einen Haufen Hundescheiße, tat aber so, als bemerke er es nicht. Stolz? Verachtung?
Phlegma? Oder doch nur Scham? Wir werden es nie mehr erfahren ... Ich Narr habe es jedenfalls damals verabsäumt, die Kot-Reliquie mit einem provisorischen Notbesteck vom Pflaster zu spachten, in eine
Zigarettenschachtel zu schmieren und so den Grundstein für einen Bernhard-Heimaltar zu legen. Aber was mich bis heute noch mehr fuchst: Ich wagte in diesem Moment nicht einmal - wie es mir sogleich in den Sinn gekommen war - in Bernhards Fußstapfen und also auch in den nunmehr zerquetschten Scheißhaufen zu treten, kurz darin zu verweilen um danach getrennt, aber doch
exkrementenvereint weiterzumarschieren. Naturgemäß in die entgegengesetzte Richtung.
Fritz Ostermayer
(Beitrag wurde von tex am 07.01.2001 um 18:05 Uhr bearbeitet.)
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