-
Nehberg, Rüdiger
Ein Autohaus im Hamburger Niemandsland hatte ihm einen VW-Transporter gesponsert, auf das er damit durch Afrika brausen, umherziehende Nomaden suchen und überzeugen würde. Davon, dass verschwurbelte naturreligiöse Gewohnheit kein ausreichendes Argument dafür ist, einem kleinen Mädchen die Klitoris mit abgeschlagenen Bierflaschen-Scherben abzusäbeln.
Rüdiger Nehberg, der Konditor aus Barmbek, dessen Weg unzählige gezuzzelte Larvenkörper säumen, er schnellt auf seinem Kunstledersessel gepardengleich nach vorne, mit augenscheinlich quietschfideler Gesundheit, macht eine schnelle, eckige Bewegung mit der rechten Hand und einen schmatzenden „Tsssack“-Laut mit dem Mund. Starre Augen blicken mich an, aus den tiefen Augenhöhlen eines haarlosen Kopfes, dessen Haut die Qualität eines guten Fensterleders erreicht hat. „Hast du auch nur die geringste Ahnung, wie weh das tut, wenn dir jemand mit sonner Scherbe was wegschnibbelt?“
Für einen Augenblick wird es ganz ruhig. Nur ich und Rüdiger, dieser hypnotische Blick, die Angst vor der Scherbe und die Ahnung des unsagbaren Schmerzes. Er spricht so wahrhaftig darüber, dass ich ihm die Scherbe aus der Hand schlagen will, das Wüsten-Mädchen vor der Nomadensippe retten, aus diesem Zelt stürmen und über die endlosen Weiten der Dünenkämme fliehen möchte.
Ein langgezogenes Schnarren erst, dann ein Zischen reißen mich aus der Illusion, aus diesem Zelt, der Wüste, weg von dem Wüsten-Mädchen und den Nomaden. Die Scherbe in der Hand von Rüdiger – es ist nur eine imaginäre. Das Schnarren und Zischen kommt aus einer Saeco-Kaffeemaschine, die mit mir, Nehberg und einer widerlichen Kunstledersitzecke hinter einer Stellwand im Showroom des Autohauses vor den Blicken der wenigen Kunden verborgen liegt. Ein Autoverkäufer lässt sich einen Espresso ein und weil er Klitoris gehört hatte, verharrte er länger als nötig.
„Lohnendes Projekt, Rüdiger, ehrlich, Repekt!“, sage ich, weil mir nichts mehr einfällt. Gleichzeitig versuche ich mich zu erinnern, warum ich ihn um dieses Interview gebeten hatte. Über das Altern wollte ich mit ihm reden, den Tod und wie man die Zeit bis dahin ordentlich über die Bühne bekommt.
Als ich ihn treffe, ist Nehberg 65 Jahre alt, duzt grundsätzlich jeden und bekommt 720 Mark Rente im Monat. Mit dem körperlichen Verfall habe er sich abgefunden, sagt er. „Ich habe mich sogar schon von einigen Teilen meines Körpers getrennt. Krampfadern, Zähne, Vorhaut.“ Doch die Trennung ist nur physisch: Denn "Sir Vival" sammelt und konserviert seine Körperteile. Und so bleibt er dann doch vollständig.
Die Vorhaut, die Krampfadern, die alten Zähne, sie alle stünden von Nährflüssigkeit umgeben in Einweckgläsern im Kühlschrank.. Sicherlich kein schöner Anblick. Und es ist auch gut, dass der alte Einzelkämpfer Nein zu Drogen sagt. Denn als Kiffer weiß man, wie undifferenziert ein Fress-Flash vor dem Kühlschrank abläuft.
Ansonsten hört Nehberg schlecht – er hat Hörgeräte an beiden Ohren – und er sieht kurz. Ab und zu hängt er sich das Kreuz aus. Etwa bei der Gartenarbeit, wie kürzlich, oder als er in einem 17 Meter langen Einbaum in sechs Wochen über den Atlantik dümpelte. Auf der Tour von Nouakchott (Mauretanien) nach Fortaleza (Brasilien) mußte er einmal das Segel greifen und mit voller Wucht nach hinten ziehen: da war es wieder draußen, das Kreuz.
„Meine Projekte halten mich immer unter Dampf“, sagt er, ballt die Faust und hebt dabei leicht vom Stuhl ab. Sich zu engagieren, besessen an einer Sache dranbleiben, das sei sein Lebenselexier. „Wer keine Aufgabe mehr hat, der wird schnell altern und bald sterben.“
Der Tod, sagt Rüdiger Nehberg, sei die einzige Gerechtigkeit. „Die Natur wird mich eines Tages vernaschen, wie ich sie mein Leben lang vernascht habe.“ Den Weg hin zu dieser letzten Bestimmung in der endlosen Nahrungskette würde sich Nehberg gerne aussuchen. „Ein Kopfschuss von hinten. Irgendwo tief im Dschungel.“
Und da schaut er wieder so. Eindringlich, verwunschen, als ob er mehr weiß von den Dingen. Und ich sehe Rüdiger kniend in der grünen Hölle, das Ende des Laufs einer halbautomatischen Langwaffe auf seinem Hinterkopf. Ein dumpfer Schuss, ein leises erleichtertes Stöhnen, ein Nehberg versinkt im tropischen Unterholz. Asche zu Asche, Staub zu Staub und Nehberg zu Humus.
„Herr Nehberg, der Transporter stünde jetzt bereit fürs Foto. Übrigens jetzt doch ein Modell mit Klimaanlage.“ Der Autoverkäufer hält einen Autoschlüssel mit spitzen Fingern, hin und her wedelnd. Nehberg, unwirsch, fast beleidigt. „Brauch ich nich, son Scheiss
-
TARGET heißt seine Organisation.
-
-
Die Geschichte ist prächtig.
-
Sehr großartig. Noch mehr, als über das seit Jahren auf Plakaten für seine Diavorträge ständig wiederholte "Sir Vival", musste ich über die bevorzugte Todesart lachen. "Von einem Watussi die Eier abgebissen zu bekommen, so möchte ich einmal sterben."
-
hast du was anderes erwartet von MC Hausi, oh Tobler?
Aber gesagt werden muß es trotzdem.
-
seltsam, dass ein gegen die beschneidung kämpfender sich selbst beschneidet, beschneiden läßt.
-
-
Er weiss, wovon er redet, soviel ist sicher. MC, hat er sich die Vorhaut mit einer Glasscherbe abschneiden lassen? Lachen musste ich bei der Stelle mit dem Fress-Flash.
-
Vorhaut abschneiden und Clitoris weitäumig heraus schneiden -- wer findet den Fehler in diesem Vergleich? Ja, Slam...?
-
Großartige Geschichte! Schwer sympathisch, der Ex-Konditor! Der kommt übrigens aus Wandsbek, nicht aus Barmbek. Seine Konditorei befand sich jahrzehntelang am U-Bahnhof Wandsbek-Gartenstadt, sie trug auch dann noch seinen Namen, als er sie längst verkauft hatte.
In meinem Buchregal habe ich gleich sein (ich glaube) erstes Buch gefunden: "Drei Mann, ein Boot, der Blaue Nil". Erschienen 1974, auf dem Titel kämpft Nehberg mit einem dreieinhalb Meter langen Felsenpython, dabei im Wasser stehend. Muss wohl der blaue Nil sein. Und er hat noch Haare auf dem Kopf – der Nehberg, nicht der Python.
Früher fand ich Nehberg jedenfalls klasse. Dass er aber durch einen verdeckten Kopfschuss sterben will, verwirrt mich. Warum nicht gleich mit Bierflaschenscherben gurgeln?
-
Nehbergs Konditorei warb früher mit dem Slogan ES GIBT SCHLECHTERE.