Wie ich Phil Collins die Hand drückte
Also, eigentlich ist das hier keine Geschichte über Phil Collins, sondern eine Geschichte über Langeweile.
Man stelle sich vor: Schweiz. Das als erstes.
Als zweites stelle man sich vor: Man feiert das 50-jährige Bestehen des Schweizer Fernsehens in Form einer Gala samt Live-Übertragung in die schweizerischen Wohnzimmer zur besten Sendezeit am Samstagabend.
Viktor und ich fahren im Taxi vor dem Fernsehstudio vor. Alles klar und wie erwartet: kein roter Teppich, keine kreischenden Fans, man ist schliesslich dezent hier, das ist das oberste Credo der Schweiz, höchstens ein Dutzend Fotografen, die der Kälte mit roten Nasen trotzen.
Mich kennt eh keine Sau, aber Viktor wird immerhin ein paar mal fotografiert, während ich mich in den Hintergrund verziehe.
Als wir den Eingang betreten, werden wir von sämtlichen auf SF DRS agierenden Moderatoren und -innen persönlich mit warmen Händedruck begrüsst. Soviele sind's ja nicht. Man läuft sozusagen Spalier zwischen Wetterfee und Nachrichtensprecher und ist leicht überfordert angesichts der Herzlichkeit, die einem ohne Sinn entgegengebracht wird.
Dann Champagnergläschen und Käsehäppchen in einem engen, blaugestrichenen Korridor voller Leute. Kurt Felix berichtet nach links und rechts von seiner Krebs- Genesung, während Paola ihn von unten anstrahlt. Kein Aschenbecher weit und breit. Ich verteile meine Zigarette notgedrungen auf dem synthetischen Teppich. Eine Radiojournalistin will von mir wissen, was ich dem Schweizer Fernsehen für die Zukunft wünsche. Ich sage: "bessere Samstagabendsshows" und finde meine Antwort reichlich uninspiriert, zumal Kurt Felix neben mir grade dasselbe mit fanatischem Gesichtsausdruck in ein anderes Mikrophon diktiert.
Dann Einzug ins Studio. Die Gäste sind offenbar nach VIP-Kategorien eingeteilt. Man steht ein bisschen blöd mit seiner Eintrittskarte rum und wartet, bis man eingewiesen wird. Ganz vorne sind die schlechtesten Plätze, denn da sind die Live-Kameras, welche die Sicht versperren. Dahinter die besten Plätze mit garantierter Nahaufnahme aufs Gesicht. Scheisse, Viktor scheint so wichtig zu sein, dass wir in diese Reihe gesetzt werden. Ich ziehe dezent meine Puderdose aus der Handtasche und matte mein Gesicht ein, denn es ist scheiss heiss hier. Man ahnt, dass die Show piefig ohne Ende wird.
Vor mir sitzt der Fernsehchef, neben ihm Tina Turner, an seiner linken Seite ein Glatzkopf, deutlich schlecht gelaunt, Phil Collins. Der Fernsehchef stellt uns alle gegenseitig vor. Ich drücke Phil und Tina die Hand, seine ist ziemlich klein und kalt, und ich murmle was von "my pleasure".
Irgendwann im Lauf der Sendung taucht eine Frau mit Headset auf und nimmt Phil Collins mit, weil er gleich auftreten wird. Direkt nach Udo Jürgens, dessen Playback von "es lebe das Laster" um mindestens zwei Sekunden mit seinen Mundbewegungen differiert. Aber der Flügel ist weiss, immerhin.
Phil Collins tritt - zu seinen Ungunsten - live auf. Also kein Playblack wie der aalglatte Udo Jürgens, aber Phil scheint erkältet zu sein. Seine Version von "I can dance" ist dermassen gekrächzt, die hohen Töne muss er regelmässig auslassen, und allmählich macht sich Unbehagen im Publikum breit. Aber es geht doch schliesslich um einen guten Zweck, denn Phil ist nur hier, um sein "forgotten-children-project" zu promoten, ein absolut todsicher politisch korrektes Hilfprogramm zugunsten Waisenkinder der dritten Welt. Wir applaudierten alle artig.
Nun denn, ihr ahnt schon: Wenn meine Erzählung schon langweilig ist, dann war der Abend noch viel langweiliger.
Die Show dauerte drei Stunden, danach ging's weiter mit einem Essen für alle VIP's.
Phil Collins drückte mir bei dieser Gelegenheit nochmal die Hand (ohne sich an mich zu erinnern). Er war nämlich an den gleichen Tisch wie wir eingeteilt worden, schützte aber samt Gattin eine Magenverstimmung vor, um abzuhauen.
Tina Turner war zu den Kalbssteaks auf Morchelsauce schon gar nicht aufgetaucht.
Udo Jürgens liess sich direkt nach seinem Auftritt von einer Limousine abholen, er liess sich nicht dazu herab, sich ausserhalb des Backstagebereichs zu den Niederungen der Schweizer Prominenz herabzulassen.
Von allen Steuerflüchtlingen, die in der Schweiz wohnen, scheint Udo der Coolste zu sein. Schade, dass er im aktuellen Musikdingens hier nicht auftaucht.