Norbert Gstrein liest in einem Raum, der sich nur geringfügig von einer Sauna unterscheidet, man sitzt Haut an Haut auf geschirrtuchbreiten Brettern übereinander. Die Literaturfreundinnen brettunterhalb halten mit ihren Rücken artig 1 cm Abstand zu meinen Beinen, ihre hennaroten Haare an meinen aufmerksam gefalteten Händen. Man ist versucht, ihnen "Einmal waschen und legen, wie immer?" in die nahen Ohren zu raunen.
Aber jetzt liest Gstrein, der Bachmannleser von 1989, er liest gut, aber im Publikum hat Daniel Kehlmann Mühe, wach zu bleiben, sein Kopf macht Kreisbewegungen, seine Augen machen Auf/Ab-Bewegungen, seine enorm konvexe Unterlippe ist zu ermattet zum Bewegen. Eine faszinierende Gymnastik ist das, und hätte ich nur genauer aufgepasst und nicht Gstreins leicht ölige Frisur angestarrt, hätte ich die Geheimzeichen vielleicht entziffert, die Kehlmanns Kopf aussandte, und zwar an Daniela Strigl. Die Bachmannjurorin 2003 hat kein Brett zum Sitzen ergattert, steht am Eingang, die Lider schlaff wie Kehlmanns Lippe, Haare strähnig, eine lustlos ausgemalte Malen-nach-Zahlen-Figur. Dann ist sie plötzlich weg, Gstrein hat gerade mal fünf Minuten gelesen. Offensichtlich hat sie Kehlmanns Code verstanden.
Danach ist Frau T., die alle Gstreinbücher besitzt und uns hier hergeschleppt hat, wie von Sinnen, deliriert über "diese Ausstrahlung, diese Ausstrahlung", und ringt mit innerem Autogrammwunsch. Wir versuchen, ihr Ringen saunaaußerhalb in Bier zu ertränken, da sitzt plötzlich ein Typ neben ihr, der aussieht wie der Typ aus "Delicatessen", clownsartig, aber in gut, sowas gibt es also.
Frau T und der Clown unterhalten sich sehr angeregt, so angeregt, dass die andern bedeutungsvolle Zeichen mit den Augenbrauen austauschen, dann stürmt er weg, er müsse jetzt zu Daniel und Norbert in den "Pudel".
Wer war der denn? fragt dann Frau T. "Das war Radek Knapp, Bachmannleser 1995".
Und wo zum Teufel ist der oder das "Pudel"? Der Wirt weiß es nicht, die Passanten wissen es nicht, Frau T. ist außer Rand und Band, Gstrein so nahe und doch unerreichbar, und wir irren noch pudelsuchend durch die Gassen, ohne Erfolg, denn es gibt keinen Pudel in Wien, wir sind ja nicht Hamburg, aber wo zum Teufel steckt die Bachmannbagage und was heckt sie aus?
Noch mysteriöser: Googelt man "Wien + Pudel + Lokal", steht an fünfter Stelle dies.
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