Berlin-Mitte. Ein Lokal in hipper Gegend. Meine Freundin und ich betreten den Laden. Er ist nicht voll. Im hinteren teil ist noch Platz. Wir sind dort allein und ungestört. Die Woche soll ausklingen. Eine Woche in Zeiten des wirtschaftlichen Niedergangs. Die Wolken hängen tief. Aber es ist Frühling. Und an meiner Seite eine schöne Frau. Wir sehen Arbeitslose im Nadelstreifen und Besitzstandswahrer. Porsche auf Kredit. Pfandhaus. Überbrückungsgeld. Selbständigkeit. Themen in Berlin-Mitte im Mai 2003.
Wir bestellen was zu Essen und ein kühles Budweiser. Das Tschechische. Der Service ist süss, gründlich, aber doof, da vergesslich. Berlin eben. Einfach perfekt. Wir essen. Wir trinken. Wir plauschen. Wir flirten.
Sabine: Ach, nee! Wer kommt denn da.
Thomas: Watt? Wer?
S: Guck doch.
T: Shit, kann ich nicht erkennen. Wo ist meine Brille? Iss das nicht...
S: ...der Clement.
T: Was will der denn hier? Jetzt kann man auch hier nicht her herkommen. Scheisse.
Herr Clement scheint was zu suchen. Seine Blicke streifen durch das Lokal. Er sieht den hinteren Teil. Der ist leer. Er braucht Platz. Er sieht mich. Ein T-Shirt mit Mao ziert das Antlitz (ohne politische Ambitionen). Der 1.Mai sitzt noch tief in den Knochen. Ausgebuht wurde er in Gelsenkirchen. Die Agenda 2010 ist nicht der Favorite der Gewerkschafter. Und am 1.Mai ist um 15 Uhr die traditionelle Demo der Trotzkisten, Maoisten und Leniisten in Berlin-X-Berg. Berlin ist super gefährlich. Nur die wenigsten werden 43 Jahre alt. Das weiss der Rheinländer. Pick und pocket. Mord und Todschlag. Mollis und Pflasterstrand. Cement denkt und macht kehrt.
T: Hat wohl schiss, häh. Nur wegen so einem T-Shirt. Die Rheinländer sind echt zu blöd.
S: So sind die. Blicken die Stadt überhaupt nicht.
Clement kommt wieder. Aber mit Verstärkung.
S: Da isser wieder.
T: Hääh?
S: Na Clement. Traut sich allein aber auch nicht her.
T: Ah so. N’abend Härr Kleemennt.
Clement: guten abend (zu leise für einen Super-Konkurs-Minister).
Er setzt sich gefolgt von (s)einer Frau und einem dicken Mann.
S: Wer ist den das? Den kenn ich doch auch.
T: Ja, der vom Bericht aus Bonn. Oder war das schon der Bericht aus Berlin?
S: Weiss ich nicht. Mensch wie heisst der nur? Der ist aber total fett. Im Fernsehen sieht der viel dünner aus. (Sie streichelt meinen Bauch und wirft mir einen verführerischen Blick zu).
T: (zurück lächelnd) Schulze. Martin Schulze. Echt fett der Knabe. Fernsehen iss doch der reinste Beschiss. Da siehste nie wie die Leute richtig aussehen, wenn die hinter dem Schriebtisch sitzen.
Ein Bodyguard betritt die Szene.
S: Hab mich schon gewundert wo der Aufpasser bleibt. Der sieht aus wie der Typ aus der Krimi-auf Pro Sieben mit dem Indianer.
T: Ick weeß. Komm aber ooch nich drauf. Na wie heisst denn die?
S: Babylon fünf?
T: Quatsch. Das sind doch die Raumschiff Dinger. Scheisse. Star Trek Next Generation ist besser. Der Stewart ist auch total durchtrainiert. (Sie lächelt wieder).
Am Tisch sitzen nun fünf Personen. Clement. Martin Schulze. (S)Eine Frau. Ein weiterer Journalist unberkannten Namens. Der Indianer. Eine weitere Tussy (nein nicht Sissy, sorry Tissy Bruns vom Tagesspiegel). Die Kellnerin kommt und nimmt die Bestellung auf. Eine Flasche Chablis wird kredenzt. Die Lenden der Kellnerin werden sichtbar.
S: Gefällt Dir, häh?
T: Nö. Nur gucken.
Die Gespräche kreisen um die Agenda 2010. Eine zweite Flasche Chablis kommt. Das Thema wechselt ins Private. Man wird locker. Haha. Eine dritte Flasche Chablis kommt.
S: Oh nee. Jetzt kommen alte Kamellen ans Licht. Iss ja irre was der Clement mit 14 Jahren getrieben hat. Gähn.
T: Ja. Wie Friedrich Merz. Seine wilden Jahre im Sauerland. Da gabs doch mal einen Artikel im Spiegel. Wenn ich den sehe wechsele ich immer die Straßenseite. Da hab ich echt Muffensausen. Die Rhein- und Sauerländer mischen Berlin total auf.
S: kicher.
Man kehrt wieder zu ersteren Themen zurück.
S: Die kippen sich echt zu.
T: Prost!
S: Der Clement sieht auch so aus wie im Fernsehen.
T: Oder anders rum. Das Fernsehen macht ihn so wie er aussehen soll. Alles Staffage....Die Journalisten werden echt eingenordet. Sehe schon: Wichtig. Echtes Reformwerk. Zukunft. Verständnis. Informationsvermittlung. Verantwortung. Immer der selbe Scheiss. Du siehst und liest nur, was Du hören und lesen sollst.
S: Ist das bei uns anders? Wir leben ja auch davon
T: Nö. Alles beschiss.
S: (guckt nachdenklich und prostet mir zu).
T: Prost Mao! Zahlst Du eigentlich GEZ?
S: Hääh?
Am anderen Tisch hat man immer noch Durst. Die Lenden-Kellnerin bedauert. Der Chablis ist aus. Na, dann gibt es eben Barolo.
T: Weiss und rot macht Dich tot.
S: Hauptsache viel und teuer. Echt kein Stil die Leute.
T: Fehlt nur noch Herr Bsirske. Der hätte der ganzen Veranstaltung noch Stil gegeben.
S: (lacht) Sozis, die sich hochtrinken.
T: (lacht) Das geht nur noch ein paar Monate gut. Dann kommen die anderen Chaoten dran. Was ist schlimmer der 1.Mai oder Kohls Berater-Verträge bei Kirch?
S: Barolo auf Chablis!
T: Lass uns das Elend vergessen. Zahlen wir?
S: (lächelt verführerisch) Ja.
T: (lächelt zurück) Zahlen bitte. Das geht zusammen.
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