Habe gerade in einem Mode-Special der Süddeutschen Zeitung geblättert und ohnmächtig erkannt - angesichts heftseitengroßer Anzeigen aller Modehersteller, deren Labels sich in den übergroßen Einkaufstaschen von untergroßen Japanerinnen mit Einkaufsflash wiederfinden - habe also erkannt, dass die Werbebranche sich weitmöglichst von dem mir bekannten Universum verabschiedet hat.
Ich verstehe diese Anzeigen nicht mehr. Ich weiß nicht, was mir hässliche Damen in Brioni-Blazern, die hässlichen Männern in Brioni-Blazern Zigarren lasziv abschneiden, also ich weiß nicht was mir das sagen soll. Zigarren kann ich selber abschneiden und ich würde sicherlich nicht Damen in Herrenanzügen bitten, dies für mich zu tun.
Außerdem werden Damen neuerdings wieder ganz schamlos in übertriebenen Gebilden aus Pelz in Szene gesetzt.
Vielleicht bin ich keine Zielgruppe. Und ich möchte auch keine sein. Wer aber ist dann - außer untergroßen Japanerinnen - die Zielgruppe.
Frau Strunz und Herr Effe.
Auf dem Hamburger Neuen Wall, dort, wo Geschäftseingänge aus der Jahresproduktion der kasachischen Marmorbauern gemeiselt werden, wo die Dinge so unanständig teuer sind, dass man vor den Fenstern weinend zusammenbrechen möchte, dort hat der Haute-Couture-Dealer Unger seine Zentrale.
Frau Strunz steht mit Herrn Effe letzten Montag vor den Auslagen. Sie besehen sich Mäntel, die im Preis dem durchschnittlichen Jahreseinkommen in Venezuela entsprechen.
Die beiden sind monströs. Unwirklich. Überwirklich.
Frau Strunz hat ihre Haare warscheinlich mit Sekundenkleber nach hinten gezogen. Sie trägt in stundenlanger Feinarbeit vor dem Spiegel auf leger getrimmte Sportswear, hautenges Träger-Top, Jeans und Turnschuhe, die Raketenabschussbasen gleichen oder zumindest ebenso teuer sein müssen.
Herr Effe sieht fast gleich aus. Sein seltsames Hamstergesicht hat heute etwas gönnerhaftes, etwas schnucki-such-dir-was-aus-siges. Er trägt eine Designerjeans, die man in Wolfsburg bisher sicher nicht für möglich gehalten hat. Hinten, an seinem - zugegeben recht knackigen - Hintern, fehlt ein Stück Jeans, dass durch einen raffiniert andersfarbigen Flicken ersetzt wurde.
Beide tragen Tatoos, sie auf dem Rücken, er - wie bekannt aus Funk- und Fernsehen - auf dem Arm.
Sie schlendern in das Geschäft, weil sich Frau Strunz festgeguckt hat. Drinnen dreht eine Verkäuferin dezent durch: Überhöflich scharwenzelt sie um die unerwartete Fußballprominenz, sie hat Euro-Zeichen in den Augen, weil an diesem Tag wahrscheinlich noch keine untergroßen Japanerinnen da waren um die überteuerte Edel-Proll-Klamotte von den Ständern zu reißen.
Effe sagt nichts und setzt sich auf einen Stuhl, wie er sich auf die Auswechselbank setzen würde. Breitbeinig, die Arme auf die Oberschenkel gestützt. Er fummelt an seiner Nase und ich denke, er wird doch jetzt nicht das eine Nasenloch zuhalten und dann durch das andere Nasenloch den übermäßigen Schnodder prustend abführen auf die persische Auslegeware, gerade so, wie er es auf dem Rasen jeden Samstag tut? Nein, tut er nicht, er fummelt an der Nase und sagt: "Ja los, zieh an!"
Frau Strunz giggelt wie ein Teenager. Verschwindet mit einem 18000-Euro-Mantel (Leder-Pelzbesatz, braun) in der Kabine. Sie kommt wieder heraus (fragen sie nicht, warum sie für das Überziehen eines Mantels eine Kabine benötigt) und dreht sich. Die Verkäuferin goutiert das alles mit einem breiten Lächeln, spricht von "bezaubernder Anmutung" und "tollen Linien" und man spürt, dass Frau Strunz sich einen alten Sack hätte umlegen können und die Dame hätte sich trotzdem vor Entzücken weggeworfen.
Effe, breitbeinig sitzend, an der Nase fummelnd, nickt nur.
Frau Strunz giggelt, springt Effe auf den Schoss und steckt ihm galant die Zunge bis tief an die Milz. Danach gehen beide zur Kasse und Herr Effe bezahlt.
Ich bin nicht dazu gekommen, zu fragen, ob sich Herr Effe auch von Damen in Herrenanzügen Zigarren abschneiden lassen würde.
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