Es geschah unlängst in Berlin. Immer ist es Berlin. Dieselbe Geschichte in Frankfurt anzusiedeln, sie nach München zu verlagern oder in Hamburg stattfinden zu lassen, würde alles ändern. Berlin ist neutral, riecht weder nach Fisch, noch nach Oktoberfest und stinkt auch nicht nach Geld. Mit etwas Phantasie erschnüffelt man einen Hauch von Hasch oder glaubt, in der Ferne gesehen zu haben, wie ein feister Politiker sich mit einer namenlosen Schlampe im Fonds einer Limousine balgt. Vielleicht war es aber gar kein Politiker, sondern nur Onkel Otto, die Schlampe keine Schlampe, sondern ein Hund, und die vermeintliche Limousine auch nur ein alter Opel Omega. Mist, Brille vergessen, aber sei's drum.
Im Forum-Hotel am Alexanderplatz logierte ich, weil ich am Abend vorher auf einer feinen Veranstaltung im Dorint am Gendarmenmarkt Häppchen weghauen durfte, rohen Fisch, boulettiertes Fleisch, dazu unvermeidlich Caipirinha, Sekt und Zigarren. Prominente auf einer Prominentenparty sind genauso langweilig wie Studenten auf einer Studentenparty. Auch, dass es im Grunde eine Journalistenparty war, macht die Sache nicht besser. Denn was haben Leute zu sagen, die selbst nichts erschaffen und daher alle, die das tun, hassen und das auch noch öffentlich verbreiten dürfen. Der Sache überdrüssig verdrückte ich mich und stattete dem obersten Stockwerk des Forum-Hotels, wo es Roulette- und Black-Jack-Tische gibt, noch einen Besuch ab. Das brachte auch nicht viel, außer der Erkenntnis, dass Dostojewski offenbar völlig zugesoffen war, als er die spannende und illustre Welt des Glückspiels schildert. Es gibt wohl nichts deprimierenderes als zu beobachten, wie schlecht gekleidete Menschen geifernd kleinpreisige Plastikchips auf Einzelzahlen setzen und natürlich verlieren.
Morgens erwachte ich etwa mit der Laune, die dieser Text transportiert, und weder die öden Ausgaben von FAZ, Welt und Tagesspiegel noch der billige Brühkaffee konnten daran etwas ändern. Gibt es etwas, das lauter nach Suizid ruft, als Frühstücksbuffets in zweitklassigen Hotels? Jeder dieser blechernen, brotkastenartigen Behälter ist für eine Überraschung gut. Die zitternde Hand langt nach dem Griff, die Brandwundensalbe bereitgehalten in der anderen, weil das Metall möglicherweise kurz vor dem Schmelzpunkt ist. Vorsicht beim Öffnen ist angebracht, denn ein Schwall heißen, stinkenden Dampfes ist im Zweifelsfall weder dem Teint noch dem Gesichtsausdruck zuträglich. Hat jemand morgens um halbacht wirklich Appetit auf mehrere Stunden eingebackenes Rührei, garniert mit Bratspeck aus dem Pleistozän oder einem Würstchen aus dem Nürnberger Formfleischmuseum? Oder Lust auf zu lautes und völlig überflüssiges Mobilfunkgeschwätz von Managern der zweiten oder dritten Führungsebene am Nebentisch, deren schlecht geknotete, bunte Krawatten mit ihren gemusterten Socken so gut korrespondieren wie die Grenzposten von Nord- und Südkorea?
Verständlicherweise hielt ich das nicht lange aus, sondern floh schnell und trat hinaus ins Freie durch eine Drehtür, die meinen auf kleiner Flamme köchelnden Zorn durch ihre provozierende Langsamkeit fast zum Überschäumen brachte. Für welche gichtgeplagten und medikamentös ruhiggestellten Rentner das wohl gebaut wurde, wollte ich brüllen. Draußen sah ich Renate Künast mit ihrem zerknautschten Gesicht, wie sie in einen wartenden Audi A8 stieg. Und wie ich so still vor mich hin kombinierte - "die Künast hat einen Termin in dieser Absteige, oder musste hier sogar übernachten" – da ward mir froh ums Herz. Plötzlich fügte sich alles ineinander: die minderlustige Party, das zur Farce verkommene Casino, die mediokren Presseerzeugnisse, ein widerliches Frühstück nebst widerlichen Tischnachbarn und zum Nachtisch die Erscheinung einer abgehalferten, kaum vom Zipfel der Macht gestreift, sofort korrumpierten Ökopartei. Keiner schöner Land, dachte ich, und ging, um mir bei Frankonia in der Friedrichstraße eine Doppelläufige und einen Sack Patronen zu kaufen. Mehr würde ich nicht brauchen.
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