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Thema: Voscherau, Henning (Henning Voscherau und die Liebe)

  1. #1
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    Voscherau, Henning (Henning Voscherau und die Liebe)

    Den ersten Menschen, den ich nach meinem Umzug nach Hamburg-Eimsbüttel in meiner Straße kennenlernte war der Assistent des Gemüsehändlers. Meist saß er auf einer Obstkiste vor dem Laden, grüßte Vorbeigehende und hievte Kisten von dort nach da. Dabei erblickte er eines sonnigen Nachmittags auch mich, ratlos vor den Resten eines Bierkastens stehend, der mir soeben vom Fahrad gefallen war. Der Assistent, seinen Namen habe ich vergessen, kam sofort mit Schaufel und Besen angerannt. Schnell beseitigte er, ohne mich mithelfen zu lassen, mit ausladender Bewegung die Scherben.

    Dann blieb Zeit für kurzes Vorstellen und Plauderei. Der Assistent war nicht sehr groß. Er ging mir ungefähr bis zum Bauchnabel, war dabei aber unglaublich massig und muskulös. Die gedrungene Statur eines Ringers. Ja, er komme aus Algerien und sei da mal aktiver Boxer gewesen. Nach der entsprechenden pantomimischen Demonstration durfte ich anerkennend den Bizeps unter seinem eingerissenen T-Shirt befühlen. Danach verabschiedete ich mich, durchaus zufrieden mit dem Tausch Bierflaschen gegen Beschützer.

    Beinahe täglich sah ich ihn nun, so auch an einem Nachmittag im Sommer 1997, als ich mir die ungewöhnliche Geschäftigkeit auf dem Platz vor meinem Fenster einmal aus der Nähe besehen wollte. »HENNING KOMMT!« stand dort auf Plakaten. Ein Wahlkampffest der SPD. Schon von weitem erkenne ich den Assistenten unter den Besuchern. Stolz zeigte der Algerier ein frischsigniertes Polaroid herum, auf dem er unscharf Henning Voscherau umarmt. Selbstverständlich beide mit geballter Faust.

    Möglicherweise können nun einige mit dem Namen Henning Voscherau nicht viel anfangen:
    Henning Voscherau war zum damaligen Zeitpunkt Regierender Oberbürgermeister von Hamburg und auf Wahlkampftour. Der kleine, schmächtige Mann sieht zwar aus, als könne er Bananenkisten keine zwei Meter hieven. Steht er aber auf einer, mit akkurat hochgekrempelten Hemdsärmeln und bekommt ein Mikro in die Hand gedrückt, wächst der untersetzte Hanseat über sich hinaus. Dann preist er mit roten Wangen die fröhliche Hansestadt und pocht (damals ganz unsozialdemokratisch) auf innere Sicherheit. Bekanntester und in seinem Falle auch letzter Satz: »Ich bin traurig!«, damit trat er wegen des schlechten Wahlergebnisses zurück.

    Doch noch ist davon nichts zu spüren. Kampfeslust und keine Traurigkeit sind angesagt beim Eimsbütteler Stopp des SPD-Wahlkampfmobils. Der sonst so leere Platz scheint wie ausgewechselt. Zwar sitzen auch heute die immergleichen Biertrinker an den Steintischen mit den eingelassenen Schachbrettern, doch heute sitzen sie vor Fassbier. Die SPD hat sich nicht lumpen lassen. Auch für unsere Kleinen ist gesorgt. Sie können auf Holzbrettern eine schräge Rollbahn für Getränkekisten runterrollern. Immer wieder. Das ist zwar nicht sehr spannend, aber immerhin gut laut. Die Erwachsenen müssen schreien, so wird Aufbruchstimmung geschaffen. Bärtige Männer mit roten Schirmmützen verteilen Papierfähnchen. Später holen sie ihr Banjo und spielen Dixieland.

    In der Mitte steht Henning Voscherau und blinzelt in die Sonne. Er ist umringt von etwa zwanzig Leuten, zum größten Teil Hausfrauen. Gegendemonstranten wie in anderen Stadtteilen muss hier niemand fürchten, die Hauptgefahr besteht aus empörten Müttern. Voscheraus Begleiter haben dies erkannt und lehnen, die teuren Jacketts lässig über der Schulter, am Wahlkampfbus. Einer bleibt in Voscheraus Rufweite, um bei Fragen, wie: warum denn der Brunnen diesen Sommer nicht sprudelt, einzuspringen.

    Ich umkreise die Gruppe und versuche ein paar Wortfetzen zu ergattern. Voscherau hat zwar ein Mikro, doch der Lautsprecher ist am Wahlkampfbus angebracht und beschallt nur die müde Begleitmannschaft. Ich bekomme einen Platz in Hörweite und sehe wie Voscherau einem ausländischen jungen Mann das Mikro in die Hand drückt. Der ist sehr schüchtern und berichtet nun seinem Bürgermeister, den Blick fest auf die Schuhspitzen gerichtet. Von seinen Erfahrungen als Austauschstudent mit der Ausländerbehörde. Voscherau hört geduldig zu und schnappt sich nach dem letzten Satz schnell das Mikro. »Unser junger Freund hier macht etwas sehr Richtiges. Wir brauchen den Wissensaustausch und den Wissenstransfer. Mit anderen Ländern. Unbedingt.« Er unterdrückt ein Lächeln. »Auch meinen Sohn, um hier mal etwas Privates einfließen zu lassen, haben wir, also meine Frau und ich, zum Studieren ins Ausland geschickt. Und zwar nach Paris, an die...«

    Hier höre ich nur noch schrilles Gekicher. Hinter mir schüttelt sich der Assistent des Gemüsehändlers vor Lachen. Er schlägt sich mit der Hand vor die Stirn. »Le fils de la maire! A Paris! L'amour! HAHAHAHAHA!« Kopfschüttelnd geht er zu seiner Gemüsekiste, während Henning Voscherau in der Nachmittagssonne weiter um Stimmen kämpft.

  2. #2
    Kosmonaut Member Avatar von Yvonne Caldenberg
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    Eben, bei der Sichtung der Pappen-Geschichten mit Vau stoße ich auf dieses sehr schöne Exemplar. Ganz ohne Antwort ist es damals untergegangen.

    Schweineforum.

  3. #3
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    Liegt sicher daran, dass es in Hamburg keinen "Regierenden Oberbürgermeister" gibt, wie von Herrn Brendel beschrieben.

    Der Regierungschef heißt hier einfach nur "Erster Bürgermeister" und ist deutschlandweit sicher nicht sehr bekannt (z.Zt. Ole von Beust, CDU). Berühmt-berüchtigter ist da schon eher der peinliche Zweite Bürgermeister, Innensenator Ronald Schill (Partei Rechtsstaatlicher Offensive oder kurz Schill-Partei).

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