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Thema: Witzigmann, Eckart und der Aushilfskellner (Aus der Reihe: Dezente Begegnungen)

  1. #1
    Member Avatar von Grover Watrous
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    Eckart Witzigmann und der Aushilfskellner (Aus der Reihe: Dezente Begegnungen)

    Es muß wohl Winter gewesen sein, denn ich war häufig mit Frieren beschäftigt und alles, was so an Landschaft zugegen war, guckte reichlich zugeschneit aus der Wäsche. In jenem Jahr - wie auch im Jahr davor wie auch im Jahr danach - hatte ich mich als Aushilfs-Lohnsklave in einer Skihütte in den Alpen verdingt. Meine Arbeitgeber waren zugleich auch meine Eltern, und ich pflegte meinen Vater damals "Big Brotherr" zu nennen, allerdings nur in seiner Abwesenheit, denn mein Vater ist des Englischen nicht mächtig und es war mir nie ein Anliegen gewesen, verwirrendes oder gar aufmüpfiges Gedankengestrüpp in die Herzen meiner in finanziellen Fragen stets sehr großmütigen Erzeuger zu pflanzen. Ich war allzeit ein auffallend artiges Kind, und die mir eigene, sich weit in die Adoleszenz hineinziehende ausschweifende Harmlosigkeit bereitete meinen überaus aufgeschlossenen Eltern mitunter große Sorge. Denn nur heimlich verbreitete ich bisweilen Gerüchte wie diese: daß mein Vater mich stets mit den Worten "Träum was Vernünftiges" zu Bett geschickt hätte; daß ich von meiner Mutter immer, wenn ich als motorisch noch nicht vollständig funktionstüchtiges Kleinwesen mich oder meine Umwelt bekleckert hatte, mit den Worten "Wer nicht essen kann, soll´s lassen!" ermahnt wurde. Selbstredend haarsträubender Unfug, der jedoch ebenso gerne gehört wie geglaubt wurde, schien sich diese Darstellung meiner frühen Kindheit doch vorzüglich als Erklärung für mein gegenwärtiges Sein zu eignen.
    Da meine Eltern meine misanthropische Gesinnung zumindest erahnten, wurde mir der Abwasch als Aufgabenbereich zugeteilt, um etwaige Kontakte zwischen meinem empfindsamen Wesen und den polternden Touristenhorden weitgehendst zu verunmöglichen. So war ich also die meiste Zeit damit beschäftigt, auf verschmähte Essensüberreste zu warten und bei gepflegten Getränken - bevorzugt Glühwein - den Tag wegzulümmeln. Um nicht mißverstanden zu werden: es handelte sich dabei um die Fifth Avenue unter den Skihütten, ich hatte Berge von Geschirr zu säubern, und das Thema Skihüttengaudimusik muß an dieser Stelle wohl nicht gesondert erörtert werden. Trotzdem und deswegen war für ein Schlückchen Glühwein im Stehen immer Zeit; es machte die Arbeit erträglich und die Gedanken leicht.
    Hin und wieder wurde ich mütterlicherseits genötigt, mein Refugium zu verlassen um für Gulasch-Nachschub aus dem Lagerraum zu sorgen. Die Gulaschsuppe des Hauses war ausgesprochen beliebt, und meine Mutter verweigerte sich beharrlich den zahlreichen Anfragen neugieriger Gäste hinsichtlich Zutaten und Zubereitung. Was zur Folge hatte, daß ich die riesigen Instantgulasch-Dosen stets in diskreten Plastiktaschen vom Lager quer durchs Lokal in die Küche zu transportieren hatte. Eine durchaus verantwortungsvolle Aufgabe, die man mir da zugedacht hatte: Eine kleine glühweinbedingte Unachtsamkeit hätte fatale Folgen nach sich ziehen können.
    Eines Tages, mitten in der Rush-Hour, plötzlich Aufregung: "Der Witzigmann ist da!" Aha, dachte ich, und: Soso. Ich stellte - ohne Hast - meinen Glühwein ab, um mal eben einen skeptischen Blick durch das Lokal schweifen zu lassen. Und tatsächlich: da saß an einem Ecktisch, nebst weiblicher Begleitung, Eckart Witzigmann: der Koch des Jahrhunderts, der Mann der durch einen Biß in eine rohe Kartoffel die jeweilige Kartoffelsorte zu benennen imstande ist; der ehemals koksende Küchenmeister, der sich bei mir in einem gemeinsamen Ordner mit Konstantin Wecker und Fritz Wepper befindet. Wecker, Wepper, Witzigmann: Das Müncher Koks-Triumvirat. So merk ich mir die.
    Die Aufregung war jedoch schnell wieder verflogen, es gab viel zu tun, und Sonderbehandlungen für Promis kamen uns sowieso nicht in die Hütte. Ich beschwipste mich zusehends und ertrug den wachsenden Geschirrberg mit heiterer Gelassenheit, als sich plötzlich die Außenwelt bemerkbar machte: "Gulaschsuppe zu Tisch 6." Wenn sich mal für längere Zeit kein Kellner in der Küche blicken ließ, was so zwei- bis dreimal am Tag vorkam, waren meine Servierkünste gefragt. Schnell noch ein Schlückchen Glühwein als Wegzehrung, und schon ergriff ich anmutig Brotkorb und Gulaschtasse, um sogleich ein wenig des Inhalts schick auf den Unterteller zu verteilen. Behende betrat ich durch die Schwingtür das Lokal, erinnerte mich der Aufgabenstellung - Suppe zu Tisch Nummer 6 bringen - und zählte im Gehen die Tische: Eins - zwei - drei - vier - fünf - Witzigmann. Ich blieb abrupt stehen und kleckerte spontan einige zusätzliche Nuancen Gulasch auf den Unterteller und meinen dort befindlichen Daumen. Knappe drei Meter war ich noch von Tisch 6 entfernt, und dort saß stoisch und allein Eckart Witzigmann bei einem Glas Prosecco. Seine blonde Begleiterin war entschwunden, aber der Meister himself harrte der Suppe, die da kommen möge. Ich war nicht wirklich Herr der Lage und angesichts der Sauerei auf dem Unterteller knapp davor, den Rückzug anzutreten, mein Scheitern einzugestehen und diese Mission berufeneren Menschen zu überlassen. Ich haderte noch ein wenig mit meinem Schicksal, bis ich bemerkte, daß ich mich mit einem Mal im Fokus von Witzigmanns Aufmerksamkeit befand. Er schenkte mir einen strengen, väterlichen Blick und nickte dabei fast unmerklich mit dem Kopf, wohl um mir Mut zu machen. Nun hieß es handeln, ich war bemüht, einen tunlichst orientierungslosen Eindruck zu machen, ließ meinen Blick recht konsterniert durch das Lokal schweifen und wackelte dann zu Tisch Nummer 6: "Einmal Gulaschsuppe?". Witzigmanns volle Konzentration galt nun schon der ihm von mir dargebrachten Speise, er nickte wieder fast unmerklich, würdigte mich noch eines kurzen Blickes, während ich Suppe und Brotkorb abstellte und "Guten Appetit" murmelnd enteilte.
    Der nächste Schluck Glühwein ist immer der Beste. Und weil´s im Leben stets ein Wiedersehen gibt, brachte mir mein Vater später die besagte Suppentasse samt Unterteller zwecks Säuberung in die Küche. Daß er "Schau dir die Sauerei an. Kann nicht mal richtig essen, der feine Herr Haubenkoch!" gesagt hat, habe ich mir wohl nur ausgedacht - ein pointengeiles Luder, meine Erinnerung. Mein Big Brotherr schien allerdings ein wenig erzürnt darüber zu sein, daß Witzigmann nicht mal die Hälfte seiner Suppe weggelöffelt hatte. Ich hingegen, der am meisten davon betroffen war, wenn Gäste ihr Mahl nicht zu Ende vertilgten, da Speisereste und ihre Beseitigung in mein Ressort fielen - ich grollte dem großen Gastronomen keine Sekunde: schließlich war es bereits zwanzig Minuten vor Feierabend, und in Gedanken sah ich mich bereits leichtfüßig und Glühwein-to-go aus dem Plastikbecher schlürfend talwärts schlendern.
    Geändert von Grover Watrous (21.02.2003 um 00:04 Uhr)

  2. #2
    Moderatorin Avatar von Frau H aus B
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    Durchaus geniessbar, diese Geschichte.
    If you get in trouble, just go back in time.

  3. #3
    Large Member Avatar von vir
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    Eindeutig hausgemacht. Lecker.
    Die, hogenpops, die!

  4. #4
    Comandantina
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    Schmeckt gut, ja. Hier kommen wir wieder her.
    Andrea Maria desanotrisieren

    [Posting #1]
    Murmel Clausen
    Moderator

    Nachdem sich Andrea Maria verabschiedet hat und nun samt Texten das Weite sucht, denke ich, dass Ihre Anwesenheit im Senatorium auch nicht weiter notwendig ist.

  5. #5
    Embedded Senator Avatar von DerCaptain
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    Deftig. Aber ok. Zuwenig Glühwein.

    Digital Immigrant

  6. #6
    Member Avatar von chuck
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    Ganz wunderbare Unterhaltung, Grover Watrous (?!), vielen Dank. Wenn Sie die Geschichte in ein paar Monaten noch mal selbst lesen, werden Sie finden, dass Sie sich einen Hauch zu viel Mühe gegeben haben, jedenfalls geht es mir so, wenn ich jetzt mein Debüt lese (die Tüte Rosinen hätte noch für den nächsten Kuchen gereicht). Sollten Sie sich überhaupt keine Mühe gegeben und das Ding in 11 Minuten runtergetippt haben, nehme ich das zurück und verbeuge mich in Ehrfurcht. Übrigens lieben alle Sterneköche schlechtes Essen.

    Und jetzt: Träumt was Vernünftiges!

  7. #7
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    Chuck, ich muß ein wenig widersprechen.
    Das Rezept ist gerade richtig und gar nicht überwürzt.
    Grover Watrous, schmackhafte Geschichte, formidables Pseudonym.
    Big Brotherr, der extra Löffel Sahne, jedoch mit Worten wie "Sohnemann" in Zukunft sparsamer umgehen.
    Das bekommt man doch in jeder Kantine.
    Insgeamt aber: 3 Sterne, gut und gerne.
    we are in the army now.The Army of Sankt Immen.

  8. #8
    Member Avatar von Grover Watrous
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    ja, da ist wohl was dran. für meine verhältnisse ist obige geschichte sogar so eine art schnellschuss, neige aber grundsätzlich dazu, mir zuviel mühe zu geben. was sich dann womöglich auch etwas "bemüht" liest, und sowas will man ja tunlichst vermeiden.

    man probiert halt so dieses und jenes, flaniert, schlendert und bummelt durch´s leben, und irgendwann, viel zu spät, landet man bei den höflichen paparazzis. naja, warum auch nicht?

    ich begrüsse mich recht herzlich in diesem forum, und verneige mich höflichst, wie es nun mal meine art ist, vor den dorfältesten und ihren lakeien und hofschranzen.

    Grover

  9. #9
    Avatar von Herr Genista
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    Ui. Grover kann Schrift. Ob das auch so gut schmeckt wie die Geschichte?

    Vorsichtiges Willkommen, Herr Watrous.
    Zeterum zenseo.

  10. #10
    Member Avatar von Grover Watrous
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    wo angelika meisch recht hat, da hat sie recht, die angelika meisch, die immer recht hat, wenn sie recht hat, was oft vorkommt.


    __________
    ich verbleibe.
    Geändert von Grover Watrous (27.01.2002 um 02:52 Uhr)

  11. #11
    Member Avatar von Grover Watrous
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    bin wie des öfteren einen spur zu langsam. ja, herr genista, ich kann schrift, und das schon beim zweiten posting. so jemand nennt man hierzulande einen blitzgneisser. und mehr als ein "vorsichtiges wilkommen" hätte ich von ihnen wahrlich nicht zu erhoffen gewagt.

    nächstes mal in farbe:

    Grover

  12. #12
    Moderator Avatar von Ruebenkraut
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    Herr Grover,
    wissen Sie, worauf ich die ganze Geschichte klopfenden Herzens gewartet habe? Ja, Sie wissen es, sind ja nicht dumm, und es war ja vollkommen geplant, dass Rübe sowas denkt und erwartet.

    Dass nämlich Herr Witzigmann die Suppe lobt und aus Ihrer Frau Mutter das Rezept herauskitzeln wolle, darauf hab ich gewartet. Kam dann nicht, dieses Ende, und - ja gerade darum wohl - find ichs gut.

    Es grüßt Sie, Rübenkraut (Hofschranz)

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