Ich holte an diesem Sommerabend im Jahr 1995 bei Olaf den unbenutzten Stapel frankierter Umschläge ab, die ich im März bei ihm deponiert hatte. Damit sollte er eigentlich die von mir aus den USA (wo ich meine erste Sheryl-Crow-CD gekauft hatte) an ihn nach Berlin geschickten Faxe per Post an diverse faxlose Freunde weiterleiten. Ich hatte aber nur ein einziges Mal diesen Umschlagumweg benutzt.
Die Abende bei Olaf enden immer mit dem Besuch eines mir noch nicht bekannten Lokals. Diesmal im Kumpelnest. Mit den Kuverts in der Jackentasche saß ich zwischen Olaf und seiner Freundin am Tresen und trank Gin-Tonic. Ich ließ den Blick hin und wieder zu einem Pärchen schweifen, das auf den bequemeren Plätzen im ziemlich dunklen Teil der Kneipe herum lümmelte. Sie sahen beide so finster aus und sprachen so wenig, dass ich mir bald ernstlich Sorgen um ihre Beziehung machte. Das Zeug in ihren Gläsern sah ungefähr so aus wie mein Gin-Tonic, aber sie tranken es viel schneller als ich. Nachdem sich meine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, kam mir das Gesicht der Frau irgendwie bekannt vor. Nach einer halben Stunde verstohlener Blicke glaubte ich eine gewisse Ähnlichkeit mit Sheryl Crow zu entdecken, die ich schon seit einem Jahr furchtbar gern mal getroffen hätte. Na ja, dachte ich, schöner Quatsch. Erstens ist die in den USA, zweitens würde die als Star nie ins Kumpelnest gehen und drittens hat die nicht so kurze Haare. Sie hat im Gegenteil eine wunderbare Blondlockenwuschelmähne.
Zweifel blieben. Zumal ich irgendwann mitbekam, dass die beiden Finsterlinge sich auf englisch vollnölten.
Am nächsten Abend nahm mich meine geschätzte Kollegin Antje zu einem Konzert in die Waldbühne mit. Ich kann Rod Stewart sonst nur dreimal pro Jahr im Radio ertragen, aber wenn man seit Monaten einer Verflossenen nachheult, dann schlägt man einer geschätzten Kollegin nichts ab. Was mir Antje verschwiegen hatte, war das Vorprogramm. Da kamen so ein paar total lässige Jeansjungen auf die Bühne, und dann kam da noch eine junge Frau, auch in Jeans und - mit kurzen Haaren. Und die sang wie Sheryl Crow. Weil sie es war! Und weil die jetzt ganz offensichtlich die Blondlockenwuschelmähne abgeschnitten hatte.
Ich habe dann noch sehr lange darüber nachgedacht, wie der vorhergehende Abend eigentlich hätte verlaufen sollen.
Lesezeichen