Joey Calderazzo ist ein genialer Jazzpianist, auch wenn er heißt, als wäre er Bouncer bei der Muppet Show. Jazz Kenner sollten etwas mit ihm anzufangen wissen, so wie Rainer Lipski vom Spardosenterzett, mit dem ich im vergangenen Sommer an einem wohl gedeckten Tisch in Stuttgart sass und wir uns gegenseitig das Thema von 'Midnight voyage' vorsummten (eine von Calderazzos Kompositionen, erschienen auf 'Tales from the Hudson' von Michael Brecker.) Aber ich schweife ab. Was mir leider beim Thema Jazz gerne passiert.
Vor ein paar Jahren also spielte Joey mit einem Quartett in einem kleinen belgischen Club auf dem Land, nahe der luxemburgischen Grenze. Dieser Club ist die ehemalige Scheune eines Bauernhofes, der einem Bekannten, Claude, gehört. Claude gelingt es Jahr für Jahr, dort im August ein Festival auf die Beine zu stellen, bei dem Topmusiker auftreten wie Johnny Griffin, Von Freeman, Jack de Johnette und viele andere.
An dieser Stelle muss ich unbedingt meine Lieblings Chet Baker Geschichte einstreuen. Chet wohnte in den 70er und 80er Jahren einige Jahre bei einem (inzwischen verstorbenen) Freund in Lüttich. Dieser Freund war der Saxophonist Jacques Peltzer, und Jacques war wiederum ein enger Freund von Claude. Einmal fragte ich Claude, warum eigentlich nie Chet Baker auf seinem Festival spielte, wo es doch so enge persönliche Beziehungen gab. Darauf erzählte mir Claude dies: eines Tages habe er Jacques und Chet in Lüttich besucht, um über einen Auftritt beim nächsten Gouvy Jazz zu reden, und Chet habe ziemlich breit über dem Tisch gelegen. Plötzlich habe er den Kopf gehoben und gefragt: 'What time is it in Tokyo now?' Claude fragte zurück, warum er das wissen wolle, und Chet habe gemeint: 'Well, I should be in Tokyo right now' und sackte wieder in sich zusammen. Claude habe daraufhin beschlossen, sich um einen anderen Top Act zu bemühen.
Zurück zu Calderazzo. Der trat also in Gouvy auf und ich fuhr hin, das ist von mir eine Stunde durch die Ardennen. Der Club ist ganz klein und man sitzt direkt bei den Musikern. Ich hockte gleich hinter dem Flügel und sah, dass auf diesem ein Ascher mit einem ziemlich dicken Cigarrenstummel lag. Calderazzo war offenbar Cigarrenraucher, so wie ich, und ich habe immer in einem Reisehumidor einen kleinen Vorrat Havannas mit. Nun wusste ich, dass die Musiker eben erst aus New York eingeflogen waren. Da es in den USA wegen des Embargos keine Havannas gibt, dachte ich mir, es sei bestimmt für Calderazzo eine Freude, wenn ich ihm in der Pause zwischen zwei Sets eine cubanische Cigarre anbieten würde. Als die Band zum ersten Set auf die Bühne kam, machte sich Calderazzo den ziemlich übel aussehenden Stummel noch mal an, zog dran, legte ihn weg und sie fingen an zu spielen. Unnötig zu sagen, dass es erstklassig war. Dann kam die Pause, die Musiker stellten sich an die kleine Theke direkt hinter mir und bekamen ihre Biere. Ich stand auf, wanzte mich an Calderazzo heran und fragte, er sei Cigarrenraucher? Er nickte freundlich und etwas verwundert, ich nehme mal an, er wird ansonsten bei ähnlichen Gelegenheiten eher auf seine Musik angesprochen. Dann fragte ich, ob er Lust auf eine cubanische Cigarre habe. Er lies fast das Bier fallen und fragte ganz leise: 'You really have cuban cigars?' Genau wie der Typ aus der Sesamstrasse, der 'Genauuuu' sagt. Ich klappte den kleinen Humidor auf und zeigte sie ihm. 'Where did You get them? They are real cuban cigars?' Calderazzo war völlig aus dem Häuschen. Ich sagte 'Yes', und Calderazzo sah mich an, als habe ich ihm etwas sehr Psychoaktives angeboten. Ich ermunterte ihn, eine zu nehmen, und er wollte unbedingt wissen, wo ich die her habe. Als ich ihm sagte, die gebe es bei uns in jedem besseren Tabakladen wollte er das gar nicht glauben, anscheinend dachte er, die ganze Welt sei dem Cubaembargo verpflichtet. Jedenfalls, er nahm dann eine, schnupperte dran und verdrehte verzückt die Augen. Und dann sagte er zu den anderen Musikern: 'This Guy has cuban cigars' und alle hingen gleich um mich herum und linsten in den Humidor, in dem nur mein persönlicher Vorrat für diesen Abend war: insgesamt 5 Cigarren. Naja, die waren natürlich weg und ich fand meine Idee dann doch nicht mehr so gut. Aber nur bis zu dem Moment, an dem die Musiker wieder auf der Bühne standen, Calderazzo ging mit brennender Havanna in der Hand zum Micro des Saxophonisten, deutete auf mich und sagte: 'Our second set is especially for this Guy with the fantastic cigars'. Da war ich mächtig stolz, auch wenn es mir weh tat zu sehen, wie der Schlagzeuger sich meine Partagas hinters Ohr geklemmt hatte, anstatt sie zu rauchen, Das tat er erst nach dem Auftritt. Ich habe dann aber doch gerne nur zugesehen.
(Beitrag wurde von Reno Schmittchen am 19.11.2001 um 18:47 Uhr bearbeitet.)
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