Pepi Taschner war der König der Taschendiebe. Er erlangte durch ein Buch des Wiener Soziologieprofessors Roland Girtler ein gewisses Maß an lokaler Berühmtheit. (Der Adler und die drei Punkte - die gescheiterte kriminelle Karriere des Ganoven Pepi Taschner (Ein Bild aus der Wiener Szene der Kriminalität, des verbotenen Glücksspiels und der Prostitution - mit einem Anhang über die Wiener Gaunersprache), Wien 1983). Er wurde dann auf Partys rumgereicht. Vor ein paar Jahren ist er gestorben.
Als ich noch in Wien studierte, hatte ich eine Freundin namens Michi, eine Salonkommunistin. Michi war immer schwarz gekleidet, gut geschminkt, sie hatte sehr schöne lange schwarze Haare, grüne Augen, leichte Sommersprossen, guter Teint, ich fand sie sehr erotisch, hatte aber nie etwas mit ihr, wir gingen saufen.
Das Saufen-gehen folgte einem festen Ritual: wir trafen uns alle paar Monate, meistens mittags, zufällig in der Stadt, freuten uns, uns zu sehen, man könne ja noch auf ein Kaffee, aber nicht so lange, man müsse ja noch ins Seminar, das trifft sich gut, ich muss nämlich noch lernen, also gut, nur kurz ins Kaffeehaus.
Diese kurzen Begegnungen auf einen Kaffe oder ein Achtel Rot endeten in der Regel am nächsten Morgen in einer Bar namens Ya in der Schönlaterngasse. Das Lokal gibt unter diesem Namen heute nicht mehr, es hat den Besitzer gewechselt.
Der damalige Besitzer hatte etwas Tragisches. Er war ein erfolgreicher Nachtlokalbesitzer, hatte viel Geld mit einem sehr angesagten Szeneladen am Ring gemacht, es war so ein 80-er Jahre schickes Teil kurz vor dem Prückel. Das war ihm zu groß, er wollte etwas Kleineres, Intimeres, deshalb hat er das Ya, eine kleine Edel-Bar aus Marmor und Leder sowie ausgetüftelter teurer Beleuchtung aufgemacht.
Das besondere am Ya war, dass es bis ca. 4 Uhr morgens immer leer war, maximal zwei bis drei Gäste. Es war dann so leer, dass man sich nicht traute laut zu sprechen. Der Besitzer war immer traurig. Er stand hinter dem steinernen Tresen und telefonierte mit seiner Ex-Frau, sehr leise, es ging immer um die Frage wann er denn seinen kleinen Sohn sehen dürfe, man konnte an seiner Miene erkennen, dass es am Wochenende wieder nichts werden würde, er wurde noch trauriger, dann kam er angeschlurft und servierte noch einen Bellini, das Lieblingsgetränk der Salonkommunistin. In seinen Augen spiegelte sich die gesamte Traurigkeit eines Menschens wieder der weiß, daß er nichts ändern kann und sich damit abgefunden hat.
Ab vier wurde es meist schlagartig brechend voll, dann spülte es ein Gemisch aus Kellnern und Rest-Nachtschwärmer hinein, auch dieses Gemisch folgte festen Regeln: Um drei in der früh schloss das Alt Wien, dann ging man weiter ins Panigl, um halb vier kamen die Kellner aus dem Alt-Wien nach. Um vier schloss das Panigl, man zog gemeinsam mit den Alt-Wien-Kellnern ins Ya, und um halb fünf kamen die Panigl-Kellner nach und dann ging es ab.
Auch Michi und ich gehörten an diesem Tag zum Strom ins Ya gespülter Leute. Wie immer hatten wir gegen Abend im Kaffeehaus beschlossen, dass es wohl mit dem Studieren heute nichts mehr werden würde. Das Ritual sah dann vor Öltauben schießen zu gehen, denn wir hatten meistens wenig Geld. Wie das Öltaubenschießen funktioniert hat mir meine Mutter beigebracht, es geht ganz einfach: Man gibt sich als leicht verstrittenes, vom Gegenüber gelangweiltes Paar. Der weibliche Teil des Paares signalisiert einem älteren, alleinstehenden solventen Herren, scheinbar heimliche erotische Signale, der männliche Part spielt den Langeweiler und tut so, als ob er von alldem nichts mitbekommen würde.
Wer mich kennt weiß, dass ich mit dem männlichen Part keinerlei Probleme habe, und Michi spielte ihre Rolle perfekt. Wir waren ins Panigl gespült worden, ich hatte zunächst Bedenken, denn seitdem ich einmal im Vollsuff den Toilettensitz auf dem Herrenklo mit meinem Schädel gespalten habe, hatte ich dort Hausverbot. Doch die Salonkommunistin meinte das Panigl sei der ideale Ort um Öltauben zu schießen, denn es mangele nicht an älteren, solventen Geiferern, und sie hatte wie immer recht. In kürzester Zeit hatte sie sich ein Opfer ausgespäht, der uns beiden nicht nur Wein, sondern auch einen Käseteller spendierte. Diese Methode ist todsicher und funktioniert immer, denn sie zielt auf die Urinstinkte aller Männer, der Jagd nach Trophäen und den Triumph über den Konkurrenten. Ich schaute gelangweilt in die Weinkarte, und die Öltaube in den Ausschnitt Michis, sie hat einen tollen Ausschnitt, dort sagen sich Sommersprossen und Schweißperlen guten Tag, ihr Busen kann vor geheuchelter Begeisterung beben. Die Öltaube fühlt sich wie ein Ölscheich und gibt gleich noch ein Flascherl aus, er suhlt sich im Lichte eigener Brillianz, mit höflicher Verachtung für den Trottel, der solch Weibstück nicht halten kann.
Michi liebt dieses Spiel mit sadistischen Vergnügen, sie hatte die Öltaube so weit, uns ins Ya gegenüber einzuladen. Ich war schon ziemlich hinüber, und ließ mich in einen Sessel fallen und genoss das wilde Treiben wie in Trance, die Öltaube hatte Champagner bestellt, das Lokal wurde immer voller, es war ein wildes Geschrei, lauter enthemmte Menschen in guter Kleidung in dieser Edel-Bar, es gab kaum noch Platz, elegante Damen in Abendgarderobe feierten schon in den Toiletten.
So gegen halb siebenUhr früh ging die Tür auf und ein kleiner Mann mit grauem, schütteren Haar in einem Trainingsanzug schob ein Fahrrad hinein. Es war ein ganz normales Herrenrad, auf dem Gepäckträger war eine Plastiktüte mit einem Gummistraps befestigt. Der Mann grüßte den Besitzer, dem traurigen Wirt huschte für kurze Zeit ein Lächeln übers Gesicht, dann stellte der Mann sein Fahrrad auf dem Marmorboden vor den Toiletten ab, löste den Gummistraps und nahm die Plastiktüte vom Gepäckträger und sagte, freundlich lächelnd, ganz beiläufig, 'man muss aufpassen, es wird einem ja heutzutage so viel geklaut.'
Der Mann war Pepi Taschner, der König der Taschendiebe, ich wusste nicht wer er war, aber Michi hat es mir erklärt.
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