Wie ich mal den Lottmann traf
Ich habe mal den Lottmann getroffen, das ist ja auch was. Und zwar nicht nur getroffen, sondern, ha!, mit ihm geredet *und* ein Buch signiert bekommen. Denn er ist ja ein richtiger Schriftsteller, dem ich mein komplettes Wissen über Berlin verdanke. Am gleichen Abend habe ich auch noch andere wichtige Menschen getroffen, aber ich weiß nicht, ob das jetzt hierher gehört.
Jedenfalls Lottmann. Es war im Herbst 1999, an seinem Geburtstag, wie sich später herausstellte, und es war in München, in einer kleinen, vollgestapelten Buchhandlung in der Amalienstraße ohne Warenwirtschaftssystem. Es war also zum Wohlfühlen. Besonders, da für jenen Abend ja Die Lesung angekündigt war, die Lesung aus ³Deutsche Einheitã, dem wahrscheinlich ernstzunehmenden Berlin-Roman von Lottmann, noch dazu die erste Lesung aus diesem Werk in Europa überhaupt, also, das würde schon so ein Abend werden. Übrigens sollte er gar nicht selbst lesen, dachte ich jedenfalls, ich dachte, nur der Verleger würde lesen. Tat er auch, danach aber eben auch der Autor. Oh, deutlich besser. Er kann nämlich Dialekte nachmachen, der Autor, falls das noch nicht jedem bekannt war, und außerdem versteht man seine Bücher erst, wenn er sie einem vorliest. Der Verleger jedenfalls konnte nicht so gut vorlesen, er hat so eine näselnde Stimme, die nicht zu seinen vielen Kinnen passt, und dann mußte er ständig mit seinen geschmacklosen hellbraunen spitz zulaufenden englischen Herrenhalbschuhen auf die Bodenfliesen dötzen, und nicht mal im Takt, das hat mich ganz wild gemacht. Am schlimmsten aber war, dass er im Verein mit dem Lektor (der war nämlich auch noch da) so eine spitzbübische Studentenulk-Nummer abgezogen hat, die, also, in einer Reich-Ranicki-Imitation gipfelte. Naja, wennâs ihm Freude macht, dachte ich und es war dann sowieso bald vorbei, denn Lottmann hatte inzwischen genug Eierlikör mit Cola getrunken, um selbst lesen zu können. Das war, wie gesagt, sehr nett. Denn ³Deutsche Einheitã ist ja ein ernsthaftes Buch. Ich weiß gar nicht mehr, ob dieser junge, aufstrebende Zeichner und Schriftsteller, der *auch* noch am Tisch saß, ebenfalls was gelesen hat, auf jeden Fall hatte er einen total klasse Anzug an und jeder konnte sehen, dass er nicht aus München war. Lottmans Anzug war auch nicht schlecht, zumindest Dimensionen besser als das Gewand von Lektor und Verleger. Der Lektor ist allerdings ein tapferer Siegfried, dem muß man das nachsehen.
Aber noch hatte ich ihn ja nicht getroffen, den Lottmann. Das hat erst am Buffet geklappt. Leider nicht, bevor sich eine ganze Herde von Italianistik-Studentinnen auf ihn warf und ihn mit Unterstützung eines sehr eifrigen Jungbuchhändlers zutexteten. Mit Fragen überhäuften. Die Antworten nicht abwarteten. Das schien er nämlich nicht zu können, so ganz viele Fragen auf einmal, jedem Halbsatz aus anderm Mund musste er sofort und zwanghaft bis in alle Tiefen folgen, alle Verästelungen möglicher Bedeutungen und Erwiderungen durchdenken und dann ganz langsam den Mund öffnen, naja und dann war seine wunderschöne Antwort verloren, weil ja schon die nächste Salve auf ihn einprasselte.
Also, das ziemt sich ja nicht, so paternalistisch daher zu kommen, aber ich bin das älteste von zehn Kindern, und er tat mir natürlich sofort leid. Ich kippte das Buffet so ein bisschen an und nutzte die entstehende Verwirrung, mein Exemplar von ³Deutsche Einheitã aus der Leinentasche zu ziehen und es Lottmann zur Signatur unter die Nase zu halten. Vielmehr, vor seine großen blauen Augen. (Große blaue Augen sind übrigens allemal besser als große braune Augen, und Blau ist die Hoffnung, nicht der Blues. Und Gold ist auch die Hoffnung, aber Gold hat er nicht angehabt an dem Abend.) Aber signiert hat er! Und wir haben uns über die Möglichkeiten moderner Telekommunikation unterhalten. Und über zu gründende Faxfreundschaften, so mit ³Erst Sie ein Fax, dann ich ein Fax.ã Seine Faxnummer notierte ich mir auf dem Umschlag des Münchner Literatur-Kalenders, Ausgabe 10/1999, den ich seitdem immer mit mir rumtrage. Vielleicht wird ja was draus. Aber dann ist er ja nicht mehr berühmt, wenn er mit normalen Menschen verkehrt, oder bin dann im Gegenteil ich berühmt und er sowieso? Jedenfalls, so war das mit dem Lottmann.
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