Ich war einst Student und kleiner freier Mitarbeiter einer Lokalzeitung. Die schickte mich zur Lesung Lutz Rathenows. Den ich bis dahin nur dem Namen nach kannte, aber ganz begeistert von seiner Biographie war, avantgardistische Prosa und Dramen hatte der anscheinend geschrieben und war außerdem im DDR-Widerstand eine ganz wichtige Figur gewesen. Widerstand, das klang für mich ohnehin ganz großartig. Auf jeden Fall las er aus einem neuen Erzählungsband namens 'Sisyphos' (glaube ich), den ich nicht so toll fand. Und ein Gedicht, 'Kapitalismus mit Tübinger Antlitz' (auch nicht so toll).
Nach der Lesung wurde noch essen gegangen, Rathenow trank ein Bier und aß Schnitzel. Ich stellte ihm Fragen, an die ich mich nicht mehr erinnere, und er schenkte mir ein Exemplar von 'Sisyphos'. Nachdem ich einen Artikel in der Lokalzeitung geschrieben habe, kam ein schlimm polternder Leserbrief von Rathenow, der sich falsch zitiert fühlte, bezüglich des Widerstandes im Prenzlauer Berg. Ich hatte aber recht.
An jenem Abend war auch der Redakteur einer örtlichen Literaturzeitschrift zugegen, der mir später erzählte, dass Rathenow ihn noch nach Jahren mit Gedichten bombardiere, die er doch abdrucken solle, was er mangels Qualität aber nicht wolle.
Als ich viel später ein Praktikum in einer überregionalen Zeitung machte, lies irgendjemand die Worte 'Lutz Rathenow' fallen. Ich wollte mein Erlebnis erzählen, aber die gesamte Redaktion stöhnte kollektiv auf: Rathenow bombardierte anscheinend auch sie täglich mit Texten, die man nicht guten Gewissens drucken konnte.
Ist jemand prominent, nur weil er nervtötend ist?
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