Herbst 2008 - ich gönne mir ein Wochenende in Berlin und um noch eins draufzusetzen miete ich mich – völlig entgegen meiner üblichen Gewohnheiten und Lebensumstände - in einem neu eröffneten Fünf-Sterne-Hotel ein. Auslöser war wohl Liebeskummer. Während also über den Zeitraum von zwei Tagen meine monatlichen Mietkosten vom Konto gezogen werden, versuche ich den Geldgedanken zu verdrängen, halbwegs lässig zu sein und mich dabei zu entspannen; schliesslich hab ich mir das hier verdient und auch einigermaßen dafür gearbeitet. Es will nur nicht so recht gelingen. Dazu sind fünf Sterne einfach zu aufdringlich. Schon beim Einchecken lässt sich der Rezeptionist von meiner Nervosität anstecken, ich bin es nicht gewohnt mein Gepäck entrissen zu bekommen und ab der Sekunde, in der ich meinem Namen nannte auch mit diesem angesprochen zu werden. Wildfremde Menschen begegnen mir an diesem Wochenende in langen, leisen Fluren und wünschen mir einen schönen Tag, nie ohne namentliche Anrede. Mein Zimmer wird mir gezeigt und erklärt, dazu sind gleichzeitig zwei Hotelangestellte nötig. Als Schlüssel bekommt man eine Plastikkarte ohne die nicht einmal der Lift benutzt werden kann. Unbemerkte Flucht ist also nicht drin. Der Horror verfolgt mich bis ins sicher geglaubte Bett: der Etagenconcierge klingelt mich in Unterwäsche raus (mein Hotelzimmer verfügt über eine Haustürklingel) und erkundigt sich, ob mein Zimmer gemacht worden sei.
Die Schlüsselplastikkarte hat keine Zimmernummer eingeprägt, ich verlasse mein Zimmer, um bei der versuchten Rückkehr festzustellen, dass ich nicht zurückkehren kann, da ich mir Zahlen eben schlecht merke. Überall liegen Kärtchen herum, die man ausfüllen soll, mein Name leuchtet auf dem Flachbildschirm und ich stolpere über eingeschweisste Frotteepuschen.
Den einsamen Höhepunkt bildet aber das – im Preis nicht inbegriffene – Hotelfrühstück. Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich an einem eingedeckten Frühstückstisch mit mehreren Gedecken an Messern, Gabeln und Löffeln sitze. Alles aus Silber, um mich herum nur amerikanische Touristen, Wirtschaftsmänner und deren gelangweilte, tatsächlich vorwiegend blondierte Frauen. Ich bin der Einzige meiner Altersklasse. Das Personal ist jünger, die Gäste älter, Kinder gibt es keine. Eine Dreierbande an Servierkräften macht sich über mich her. Eine bringt Tee, einer die Rühreier und der Dritte nimmt mir alles, was ich nicht mehr berühre augenblicklich wieder weg. Nicht ohne mich vorher gefragt zu haben, ob ich dieses oder jenes noch benötige – mit namentlicher Anrede versteht sich. Pausenlos muss ich versichern, dass alles wirklich bestens ist. Da ich einzeln bin, hat keiner das Gefühl zu stören. Unter diesen Umständen gibt es nur eine Rettung und die Idee dazu kommt mir beim Betrachten von Ulrich Wickert, der sich keine drei Meter von mir entfernt und auch alleine – relativ unbehelligt von dem ganzen WithComplimentsZinnober – hinter einer Sonntagsausgabe verborgen hat. Ich mache es ihm nach und baue mir ein Zelt aus Zeitungspapier unter dem ich zumindest für Sekunden den Luxus einer Privatsphäre verspüre. Beim Auschecken frage ich nach dem Weg zum Görlitzer Bahnhof – daraufhin will man mich in ein Taxi setzen. Später in der BVG bin ich dann in Berlin.
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