Es ist mir etwas peinlich, über DJ Bobo zu schreiben, aber irgendeiner muß es ja tun. Man sah ihn damals oft im Fernsehen, und jedesmal dachte ich, wie peinlich das jetzt für ihn sein mußte, sich derart lächerlich in der Öffentlichkeit benehmen zu müssen. Gleichzeitig war es mir immer peinlich, ihm dabei zuzusehen, und so war da ein Band aus blühender Peinlichkeit, das uns fest und innig aneinander fesselte, so wie eine Fliege an klebrigen Rosenkohl gefesselt ist. Aber ich habe ihn dann doch im Stich gelassen, alleine in seinem Bergdorf zwischen Igeln und Katzen, worüber ich jetzt was schreiben will.
Aber, ach, es war eine böse Zeit für meinen Kopf. Meist lag er in dämmrigen Maschinenräumen, erfüllt vom Surren und Brummen, sah nichts außer Neonröhren in endlos dunklen Korridoren, immer wieder diese vielen langen Korridore. Er verbrachte Tage und Nächte mit irgendwelchen Chat-Bots, stakste früh am Morgen quadratisch nach Hause, eine Stunde Fußrasseln vorbei an Gebüsch und Tankstellen, dann wieder Korridore. Manchmal denke ich, daß diese Zeit sinnlos war, aber, meine Güte, kann man das vorher wissen? Oder etwa hinterher? Eben.
Jedenfalls: In dieser Zeit hatte ich ein Verhältnis mit der Cousine von DJ Bobo. Ich erfuhr von dieser Fügung erst nach der ersten Nacht in diesem Dorf in der Schweiz, in dem es ständig schneite, immerzu, dort lag eine Baseballkappe mit DJ-Bobo-Autogramm auf dem Tisch neben dem Bett, und so erfuhr ich es. DJ Bobo - es ist so anstrengend, immer wieder diesen albernen Namen zu schreiben, aber ich habe vergessen, wie er wirklich heißt - DJ Bobo jedenfalls kam angeblich immer mal vorbei bei seiner Cousine in diesem Dorf, aber eher selten, hieß es. Außerdem würde er die gesamte Verwandtschaft zu privaten Geburtstagsfesten einladen, irgendwo in den Bergen bei Davos, so hieß es, dekadentes Geschlemmere mit Pool, Blumenkränzen und barbusigen Kellnerinnen, so stellte ich es mir vor. Dazu den ganzen Abend geniale Plastik-Hops-Musik vermutlich. Kurzgesagt: Ich wollte auch unbedingt dahin.
Aber wie schon erwähnt, war es eine böse Zeit, und DJ Bobos Cousine war da auch keine große Hilfe. Damals kostete es ja noch ein Vermögen, in die Schweiz zu telefonieren, jedenfalls deutlich mehr, als ich so zusammenverdiente durch mein tagelanges In-den-Monitor-Schauen, also redete ich und schmachtete ich über dieses Internet mit der Cousine. Alles in allem war die ganze Sache sehr qualvoll, wie zwischenmenschliches Blabla oft ist, aber das scheint mir eher uninteressant zu sein, finde ich. Dann kam der November, und die Qualen wurden unerträglich, aber der Geburstag von DJ Bobo war doch erst im Januar! Das schaffst du noch, redete ich mir ein, sei nett zu ihr, sei fröhlich, sei genügsam, geduldig, das schaffst du. Champagner! Denk immer an Champagner, wenn sie am Telefon ist, denk an die barbusigen Kellnerinnen, an Glitzerkram, Palmen, warmes Wasser und ähnliches Luxuszeug.
Ich habe es dann aber doch nicht geschafft. In der Adventszeit war ich zum letzten Mal in dem Bergdorf, und noch nie im Leben hatte es soviel geschneit wie an diesem Wochenende. Es fing an zu schneien, als ich die letzten Kilometer von der Autobahn ins Dorf fuhr, und es hörte einfach nicht wieder auf, es schneite, und schneite, und mein kleines rotes Auto versank immer tiefer, bis man nichts mehr von ihm sah, außer einen kleinen weißen Schneehaufen, aus dem eine Antenne herausschaute. Das Auto stand direkt vor dem großen Holzhaus, in dem es schön warm war. Im ersten Stock war das Schlafzimmer, und direkt daneben das Bad, das erbärmlich stank, weil seit Wochen in der Badewanne ein Igel wohnte, den die Cousine Aleks getauft hatte, weil, ja, ich weiß auch nicht mehr warum. Da war also dieses schöne warme Holzhaus voller unschöner Dinge, Worte und Szenen, ein stinkender Igel in der Badewanne, ein paar Katzen waren dort auch noch, und irgendwann war es zuviel Unschönes, ich zog mich in den benachbarten Schuppen zurück, in dem Unmengen von Holz lagerten, und begann, mit Hammer und Säge ein Haus für Aleks, den Igel, zu bauen. Es war überraschenderweise unglaublich entspannend. Die Tür aus groben Holzplanken konnte man nicht richtig schließen, daher fiel durch den Türspalt weißes Tageslicht in den Schuppen und mischte sich dort mit dem gelben Schein einer Glühbirne, die von der Decke baumelte. Ich sägte ein paar Wände, einen Boden, dann noch eine Tür in eine Wand, stellte mir den Igel vor, wie er aus und ein ging, nagelte alles zusammen, feilte die Ecken rund. Das war richtig super von mir.
Als das Igelhaus schön fertig war, baute ich noch einen Kratzbaum für die Katzen. Ich sägte ein quadratisches Brett zurecht, nagelte es auf einen Baumstumpf, drehte das ganze um und war zufrieden. Als ich noch beim Nageln war, veränderte sich plötzlich die Farbmischung in meinem kleinen Schuppen, weniger glühbirnengelb, mehr schneeweiß, darum sah ich auf und in der jetzt halboffenen Tür, die einen großen Lichtschwall hineinließ, stand DJ Bobo. Er stand dort mit schneebefleckten, dunkelblauen Moonboots oder wie diese Dinger heißen, in denen man nicht richtig laufen kann. Außerdem trug er hellblaue, glänzende Plastikkleidung, sogar an den Händen, nur der Kopf war unbedeckt. Er sah ein bißchen aus wie der erste Schweizer Kosmonaut in den Eiswüsten des Jupitermondes Europa - neutral, fröhlich und ein bißchen fehl am Platze. Angestrengt starrte er in den dämmrigen Raum vor ihm, auf der Suche nach Leben.
Die Beleuchtungssituation war ungefähr so, als stünde er auf der Bühne, grelles Licht von hinten, vorne düster. Einziger Unterschied: In diesem Fall war ich mit lächerlichen, erniedrigenden Verrichtungen beschäftigt, und nicht er. In diesem wunderbar tiefen, eindringlichen Moment veränderte sich mein Weltbild. Es war, als würde ich durch das falsche Ende eines Teleskops schauen, und am anderen Ende DJ Bobo sehen, nur ganz klein. Gleichzeitig sah er richtigrum durchs Fernrohr und erblickt mich, riesengroß. Riesengroß sah er mich, mit meinem wirren Haar, den Sägespänen auf meiner Hose, dem Hammer in meiner Hand, ja, riesengroß auch der halbfertige Kratzbaum. Vielleicht erschütternd für ihn, aber dieser Perspektivwechsel verhalf mir zu übermenschlicher innerer Größe, von der ich nun jahrelang zehren würde (was ich damals aber natürlich noch nicht wissen konnte).
Dann sagte DJ Bobo irgendwas. Aber ich verstand nicht, was er sagte, weil ich mit der Sprache der Eingeborenen dort überhaupt nicht zurechtkam, daher nickte ich probehalber, er lächelte scheu, drehte sich um und ging im gleißenden Sonnenlicht zum Haus. Vielmehr, er versuchte zu gehen, aber mit dem unpraktischen Schuhwerk und dem tiefen Schnee war das, was herauskam, eher ein peinvolles Schlingern oder auch Schlupfen. Und ab da war die Welt wieder richtigrum: DJ Bobo stand im Rampenlicht und tat etwas erniedrigendes. Aber ich kam jetzt auch ohne ihn klar. Ich trat hinaus, setzte mich in mein Auto und entkam der Schneewüste.
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